Page 5 - mosaik01_48
P. 5

%

                                                                                                        M an hat in den letzten Jahren gelernt, Leben nur nach seinem m ateriellen
                                                                                                        N utzen zu werten. A u f G rund dieser gefährlichen Lehre em pfinden vie lle ich t
                                                                                                        vie le die heutige Todesauslese, die in erster Linie unter den A lten, den H ilf­
                                                                                                        losen und W iderstandsunfähigen gehalten w ird, für sinnvoller als jene des
                                                                                                        Krieges, die unter der sogenannten „Blüte der Menschen" wütete. Bestimmt
                                                                                                        Gb er — unc] dies g ilt es zu bedenken — ist in zw anzig Jahren die nächste
                                                                                                        G eneration „d ra n ", die, de r es heute noch re la tiv gut geht! Und es g ib t eine
                                                                                                        Kette ohne Ende, wenn nämlich die unselige Saat vom Unwertdes Lebens
                                                                                                        vo ll und ganz aufgeht. Sanfte Mahnungen, christliche W orte der Nächsten­
                                                                                                        liebe verfangen nicht mehr. Sollte aber nicht doch der Appell an die V e ri
                                                                                                        nunft oder an den nackten Selbsterhaltungstrieb helfen können?

                                                                                                        W as also können w ir praktisch tun?

                                                                                                        V on den 200 000 alten Leuten sind noch viele durchaus rüstig. M an kann
                                                                                                        ihnen helfen, es auch noch längere Zeit zu bleiben. Dann h ilft man auch den
                                                                                                        anderen, die mit unserer Laienhilfe nicht mehr zu retten wären, dadurch
                                                                                                        nämlich, daß die Plätze in den Heimen allein fü r sie — diese Hilflosesten —
                                                                                                        fre i bleiben. W enn also zum Beispiel in einer Hausgemeinschaft ein a lte r
                                                                                                        Mensch, der noch laufen kann, jeden Tag in einer anderen Familie seinen
                                                                                                        Platz am warm en O fen beziehen dürfte, und wenn jeder der anderen ihm
                                                                                                        täglich eine Viertelstunde Zeit „o p fe rt", um eine Besorgung mit zu erledigen

                                                                                                                                                                                                oder ihm sonst einen

Friedlich und gem ütlich - auch so kann es sein. A u fn .: Im „Feierabendheim " de. Baptisten-Gemeinde                                                                      kleinen Dienst zu er­
                                                                                                                                                                            weisen, dann wäre das
A r b e it..; für andere, anonym. Das alles für Menschen, die alt waren und                                                                                                 für die Helfenden
sowieso bald sterben würden.
                                                                                                                                                                            wenig, für die Alten
Heute stehen die Heime. Jetzt heißt es, sie in Betrieb zu halten. Das Mühen                                                                                                 aber, denen geholfen
und Sorgen geht w e iter, denn auch alle Sonderzuwendungen reichen nicht aus.
N ahrung, Kleidung, Heizung und alles N ö tig e muß herangeschafft werden. Es                                                                                               w ird, viel. Dann würde
fe h lt an allem . V iele der Heiminsassen schlafen ohne Bettwäsche und sind nicht                                                                                          das geschehen, was
mehr in der Lage, sich sauber zu halten. Das Pflegepersonal steht vo r keiner
leichten A u fg a b e : Selten bekommt es eine Anerkennung zu hören, manchmal                                                                                               w ir — du und ich —
vie lle ich t w ird es durch ein zufriedenes Lächeln belohnt, aber viel häufiger muß                                                                                        in dem uns verb le ibe n­
e i N ö rg e le i und Klagen hinnehmen. A lte Leute sind wunderlich und scheinen                                                                                            den Rahmen tun könn­
undankbar. W e r aber kennt die Summe der Erlebnisse durch ein ganzes langes
Leben, die sie dazu machte? W e r hat G edanken dafür? Die A lten sind heute,                                                                                               ten, was aber bisher
tro tz a lle r Fürsorge, vielfach nichts als Zahlen innerhalb eines Kasernenbetrie­                                                                                         in den seltensten Fäl­
bes, bei deren W e g fa ll soundso viele andere w arten, nur, dam it sie nicht auf                                                                                          len getan w orden ist.
de r Straße o d er in einem Kellerloch sterben müssen.
                                                                                                                                                                            Das w äre die prak­
Möchten Sie a lt w erden?
                                                                                                                                                                            tische M öglichkeit ge­
W ir werden alt, und keine Verneinung dieser Frage kann daran etwas ändern,                                                                                                 wissermaßen in V er­
Es b le ib t nur eine Frage o ffen : Müßte nicht jeder einzelne alles tun, dieses A lt­
w erden so gut und fü r so viele w ie er es verm ag, erträglicher zu gestalten?                                                                                             tretung des Staats, der
 Es ist einfach, dieses Problem der öffentlichen W o h lfa h rt zu überlassen. A nd ere r­
seits scheint vo r dem Übermaß der Anforderungen die K raft des einzelnen zu                                                                                                w ir ja zu einem T eil­
gering, noch dazu, w o er fü r sich selbst ja ein ge rüttelt M aß an Sorgen und                                                                                             chen alle sind od er
N öten zu tragen hat.                                                                                                                                                       versuchen sollten zu
                                                                                                                                                                            sein, was die V erant­
N un — w ährend des Krieges hatten die Menschen der ständigen Lebensgefahr
wegen sich zu kleinen Gemeinschaften zusammengeschlossen. Sie halfen sich                                                                                                   wortung betrifft. Dar­
gegenseitig. Sie m obilisierten A b w e h rkrä fte , die sich durch die Gemeinsam keit
m ultiplizierten. Das hat heute aufgehört. Die Lebensgefahr ist nicht mehr so                           Schlimm ist es fü r a lle , die im A lte r zur U ntätig ke it ver-   über hinaus aber hel­
offensichtlich, sic springt die Menschen nicht mehr an. Ist sie jedoch gerade fü r                      ctim m t sind . . . A u fn .: Im Städtischen Altersheim W edding    fen w ir möglicherweise,
die Altera kleiner gew orden?                                                                                                                                               w ieder eine Bereit­
                                                                                                                                                                            schaft zu schaffen, das
                                                                                                                                                                            A lte r nicht nur zu
                                                                                                                                                                             „ehren", sondern ganz
                                                                                                                                                                             einfach Achtung vor
                                                                                                                                                                             dem Leben schlechthin
                                                                                                                                                                             zu haben — so, w ie
                                                                                                                                                                             es einmal selbstver->

                                                                                                                                                                            Sianülicn WO ,

H ier wurde das Altersheim offensichtlich ein wirkliches Zuhause m it gemeinsamen Aibeits- und flaudeistündcheil  Selbsl der im Heim verbrachte Lebensabend bietet noch
                                                   A ufnahm en: Im Städtischen Altersheim C ha rlo ile n b u ig                        Freude fü r sich, und die Um welt
   1   2   3   4   5   6   7   8   9   10