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Nur die proklamatischen Erklärungen lassen nichk die unterschiedlichen Charaktere d e r verschie­
d e n e n Parteien erkennen. Den grundsätzlichen Erklärungen nach unterscheiden sich die heutigen
Parteien nur sehr gering voneinander. Man muß gleichzeitig ihre politische Praxis werten.

J s M I ) Der M ensch steht im M ittelpunkt          CDU Betonung des religiösen M o­                                   SED bekennt sich zur D em okratie                 I I i M O rganisation des
                 allen G eschehens. D eshalb Siche­                      m ents, deshalb Erziehung der                                   und zum Sozialism us. Ihr
                                                     Ju g en d im christlichen G eiste. Förderung                       Ziel ist aber die V orherrschaft einer                    S taates auf libe-
rung seiner m ateriellem Existenz u nd seiner        der Sozialpolitik, A nerkennung sozialisti-'                       Partei. U nter dem M otto: „A lles für
geistigen und k ulturellen Entw icklung.             s c h e r M a ß n a h m e n , z. B. S o z ia lis ie ru n g d e r   das V olk“ streb t sie nach F ortschritt          ralistischer G rundlage bei
K onsequenter dem okratischer und freiheit­          G rundstoffindustrie und m onopolartiger                           auf w irtschaftlichem und sozialem G e­
licher Sozialism us, Planw irtschaft ohne V er-                                                                         biet. V olk ist für sie gleich Staat,             völliger G ew issensfreiheit.
m aohtung des Staates, A nerkennung pri­             B etriebe, jedoch stärk eres H ervor­                              und der S taat h at die O m nipotenz.
v ater Initiative, fortschrittliche Sozialpolitik.   heben der privaten U nternehm er-Initiative.                                                                         K onsequentes A blehnen von

                                                                                                                                                                          Planw irtschaft und Soziali­

                                                                                                                                                                          sierung. B ekenntnis zum

                                                                                                                                                                          freien  U nternehm ertum .

WARUM                                                                                 SIND                                                                        SIE IN

Diese Trage stellten wir einigen TWensdhen, die im poUtisdhen Leben stehen. V oraus aber sdhidken wir
drei nadh unserer A nsidht fü r h eu te dljarakteristisdhe S tellu n g n a h m en , w arum m an sidb nidht politisdlj beteiligen will.

P a r t e i ? N e i n , n i e m a l s . Mir ha b e n die zwölf Parteijahre restlos                                      v o r w ä r t s zu k o m m e n . U n d ich per sönl i ch bin g e g e n j e d e u n n ü t z e E n e r g i e ­
gelangt. Se hen Sie sich doch nur die an, die heute noch an d e m „Glück" ihrer                                         verschwendung.
Par t ei mi t gl i ed sc h a f t in d e r N S DA P k r a n ke n . Ich bin d a m ö l s d a r u m h e r u m ­
g e k o m m e n und v/erde mich jetzt nicht in die G e f a h r bringen, m o r g en viel­                                M ü ß t e m a n n i c h t ? Frühe r w a r ich politisch u ni nt er ess ie rt un d d e s h a l b
leicht die Quittung für einen Parteibeitritt v orgelegt zu bekom m en . A u ß e r ­                                     niemals in einer Partei.
d e m ist es i mm er d a s s e l b e . S o b a l d j e m a n d e in e Ma c ht p os it i on hat, v e r g i ß t er,       H e u t e ist e i n em d e r K o mp l ex „Politik" d e r a r t n a h e g e r ü c k t , d a ß m a n sich mit
ein Mensch zu sein. — Nein, d anke, g ehen Sie mir auch damit ab, d a ß es                                              ihm au s e i n a n d e r s e t z e n muß. Diese Au s ei n an de rs et zu n g ist ernst und' nicht in
j e t zt m e h r e r e P a r t e i e n gibt. Bei m e i n e m Gl üc k w ü r d e ich si c her d i e f al sc h e           wenigen Sätzen klarzulegen. Darum nur ganz fragmentarisch dies:
erwischen.
                                                                                                                        Zu k ei n e r d e r b e s t e h e n d e n P a r t e i e n k a n n ich b e d i n g u n g s l o s „ j a " s a g e n . D a s
U n n ü t z e E n e r g i e v e r s c l i w e n d u n g . Augenblicklich w ü r d e ich mich                             l i egt vi el l ei cht w e n i g e r a n i h r e n P r o g r a m m e n a l s a n i h r e n V e r t r e t e r n . Es ist
k e i n er Partei a n s ch li eß en , nicht, weil ich unpolitisch bin o d e r mich Politik                              jedoch leicht kritisiert und schv/er etw as besseres vorgeschlagen. Eventuell
nicht interessiert, s o n d e r n weil ich mich u n g e r n als O b j e k t b e h a n d e l t fühle.                    s ä h e d a s G a n z e bei P e r so ne n w ah le n für mich schon wesentlich an d e r s aus als
Ich stelle m e i ne pe r sön li che Freiheit ü b e r alle a n d e r e n m ei n e r A n s c h a u u n g e n .            bei d e r a n o n y m e n P a rt e i wa hl , weil ich d a n n j en en V er t r e t e r w ä h l e n kö nnt e,
H e u t z u t a g e ist a b e r in D e u t s c h l a n d m. E. k e i n e e i n z i g e P a r t e i wir kl i ch f rei .  zu d e m ich b e s o n d e r e s V e r t r a u e n h a b e .
W e d e r im H a n d e l n no c h im S p r e c h e n . D a m i t v e r b i n d e ich k e i ne r l ei Kritik.            Zur Zeit j eden fal l s bl ei bt nichts w e i t e r übrig, als sich mit d e r b e s t e h e n d e n
Frühere Geschehnisse haben zwangsweise zu dieser Situation geführt. Aber                                                Methode zu befreunden. Und daher wird diese Frage beinahe für jeden
ich persönl ich m öc h t e mich nicht a n e i n e r S a c h e b et ei l ig en , di e ich m e h r al s                   M e n s c h e n b r e n n e n d : M ü ß t e m a n nicht — m ü ß t e ich nicht m i t m d c h e n ? M ü ß t e
ei ne Art Gesellschaftsspiel be tr ac ht en müßte, als d a ß sie für mich de n Sinn                                     ich nicht in e i n e Partei g e h e n , d a es d i e e i n zi g e Mö g li ch ke it ist, m i t z u sp r e c h e n ?
e i n e r P a r t ei mi t gl i ed sc h af t erfüllt. Ich b e t r a c h t e mich h e u t e lediglich al s e i n e
mikroskopische Marionette auf dem Welttheater, das von anderen Regisseuren                                              So schwankt man zwischen der Ablehnung mancher einem eitel, machtlüsternen
g e l e n k t wird. Ich w ü r d e d a s Gjefühl nicht l o s w e r d e n , a u f e i n e m R a d e zu sitzen             und damit im G runde eigensüchtig erscheinender „Parteigrößen" und einem
und u ne ntw eg t mit meiner ü b r iggeb lie be nen Energie P ed al e zu treten, o h n e                                u n b e h a g l i c h e n Ver pfl icht ungs gef ühl d e s M i t ma ch e nm üs s en s. De nn zur Er­
                                                                                                                        reichung einer staatlichen Ordnung sind Parteien wohl nötig.

Anne dore Leber                                                                       für Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit                               tritt die Union den G edanke n der Toleranz und
                                                                                      v e r a nt w o r tl i ch g e m a c h t w e r d e n kan n. Sie ist a u s     der Freiheit. Nicht die Materie, sondern der
Um ihrer Möglichkeiten w ille n !                                                     d er N o t geboren, die Hitlers unselige Herrschaft                         Mensch, nicht die staatliche Bevormundung, son­
                                                                                      hinterlassen hat. Die Union w urde gegründet von                            dern die freie Persönlichkeit stehen im Mittelpunkt
Parteien sind nötig.. O hne sie müßte es zur An­                                      Männern und Frauen, die v o r h e den verschieden­                          des politischen Wirkens. Die Union glaubt trotz
archie o d er Diktatur führen. Die Konsequenz bei­                                    sten Parteien angehört hatten oder parteilos waren                          allem daran, daß die Menschheit fortschreitet, und
d e r ist A u f lö su n g al l er W e r t b e g r i f f e und U n g e r e c h ­       und in d e r e n Her zen unter d e r nationalsozialisti­                    d a ß dabei nicht die ökonomischen, sondern die
tigkeit gegen den einzelnen. Also brauchen wir                                        schen Willkürherrschaft die Erkenntnis gereift war,                         sittlichen Kräfte die Führung haben müssen.
Menschen, die sich an d em Parteileben beteiligen.                                    d a ß die meisten der alten Parteigegensätze im                             Des halb r o h ö r e ich zur Christlich-Demokratischen
Ich h a b e di e me i n e g e w ä h l t , weil es e i n e Zeit g a b ,                Sturm der Zeit ihren Sinn o d e r mindestens ihr G e ­                      Union!
die gewisse rm aßen alles von mir ab zo g , w as m a t e ­                            wicht verloren hatten. Deshalb wollten sie eine
rieller W e r t heißt. Ich lernte d e n a n d e r e n M e n ­                         weitherzige Zusammenfassung, eine Union aller                               Ernsi Tillich
schen nach dem zu beurteilen, was übrigbleibt,                                        d e r e r ins Leben rufen, die er ka n n t h ab en , d a ß eine
wenn die großen Worte und das Äußere fort­                                            Selbstregierung, eine Demokratie, für jedes gebil­                          Der revolutionärste Satz
g e n o m m e n sind. Ich h a b e d a s F r e u n d s c h af t - h al t e n -         dete, selbstbewußte und freie Volk die allein a n ­
können des deutschen Arbeiters kennen und                                             gemessene und deshalb selbstverständliche poli­                             Es ist g a r nicht s o l ei cht z u e r k l ä r e n , w a r u m m a n
s c h ät z en g el er nt . Eher als j e d e r a n d e r e ist e r b e ­               t i sche L e b e n s f o r m ist.                                           sich e in e r Partei a n g e s c h l o s s e n hat. W e n n ich
reit, die Nächstenliebe durch eine Tat zu beweisen.                                   Die Union zeichnet sich also vo r a n d e r e n d e m o ­                   Ihnen a l s o a n t w o r t e , s o m u ß ich z un ä c h s t s a g e n ,
O h n e viel Redens geht er dem, w a s d er Tag von                                   kratischen Parteien dad urch aus, d a ß sie sich von                        d a ß ich es g a n z richtig finde, w e n n s o w e n i g
i hm f o r d e r t , na c h . Er ist z u v e r l ä s s i g . V o r a l l e m a b e r  jedem engen parteipolitischen Dogmatismus fern­                             Leute in eine Partei eintreten! Dort sollten sich
ist er politisch wach, au f m er ks am und beteiligt. Das                             hält und als eine über ganz Deutschland ver­                                wirklich nur Leute finden, die sich zur Politik g e ­
alles befähi gt ihn zur Standhaftigkeit, w o es um                                    breitete Partei der landsmannschaftlichen Mannig­                           rufen, besser noch: berufen fühlen, ohne d a ß sie
eine Idee, um die Prinzipien der Menschen­                                            faltigkeit unseres Volkes den nötigen Spielraum                             deshalb gleich „Funktionäre" sein müssen, oder
rechte geht.                                                                          läßt. In d e r Ü b e r z e u g u n g , d a ß nach d e r m o r a l i ­       w en n sie Funktionäre wü rd en , sollten sie sich
A u ß e r d e m h a b e n mich a b e r zwei für uns als Volk                          schen Verwilderung der Hitlerzeit nicht nur eine                            jedenfalls nicht als Vorgesetzte der Mitglieder o d e r
bedeutungsvolle Fragen zur tätigen Teilnahme an                                       politische, sondern ebenso eine sittliche Erneue­                           g a r d er Bevölkerung dartun. Echte Parteien w a r e n
den Aufgaben meiner Partei bestimmt. Die eine                                         ru ng für u ns er Land n o t w e n d i g ist, ent schl oss en               immer „Teile" des Volkes und zwar aktive und
Frage ist die, wie wir d a s M iß tr aue n d e r Welt ,                               sich die G ründer der Union schon im N a m e n der                          zielbewußte Minderheiten, von deren Lebendig­
eine Folge der zwei Kriege, überwinden können.                                        Partei zum Ausdruck zu bringen, d a ß sie auch das                          keit und Fähigkeit ihr Einfluß au f die allgem eine
Zum anderen aber muß ein gut ausgewogenes                                             öffentliche Leben unseres Landes unter die sitt­                            öffentliche Meinung abhing.
Verhältnis von staatlicher Ordnung zur mensch­                                        lichen M a x i m e n d e s Chr ist ent ums stellen will, die                J e t z t ist di e A n t w o r t eigentlich a n m a ß e n d g e w o r ­
lichen Freiheit gefunden werden.                                                      d e r Kultur des A b e n d l a n d e s ihren C h a rak ter g a b e n        den und ein starkes Stück für die Leser, die daraus
U n d ich g l a u b e , d a ß d i e s e n F o r d e r u n g e n di e                  und de r en ewig junge Kraft sich durch die J a h r ­                       en t n eh m en könnten, sie sollen sich nicht um Politik
Sozialdemokratische Partei zuerst gerecht werden                                      tausende u nw an d elb ar b ew äh rt hat. Durch dieses                      bekümmern, weil sie doch nichts d a v o n verstünden,
könnte. Denn sie hat immer ein internationales                                        Bekenntnis wurde die Grundlage dafür geschaffen,                            ich a b e r v e r s t ü n d e nach m ei n e r M e i n u n g e t w a s
V e r s t e h e n g epf legt . Sie st reb t mit d e r sozialistischen                 daß der konfessionelle Gegensatz, der unserem                               d a v o n . . . N un , b e i d e s ist nicht me in e M e i nu n g,
Form eine begrenzte staatliche Lenkung auf den                                        Volk im W e r d e g a n g seiner Geschichte so manche                       d e n n als. ich v o r f as t 20 J a h r e n als T h e o l o g i e ­
verschiedensten G e b ie te n an. Freiheit und Recht                                  schmerzliche W u n d e geschlagen hat, im Bereiche                          student in d en Sozialistischen S t u den ten bun d ein­
d e r E inz el pers on ist a b e r nach w i e v o r ihr h öchst es                    d e r deutschen Politik au sg eschaltet wird, indem                         t r a t , t a t ich es ja g e r a d e , wei l ich d i e Ü b e r z e u g u n g
Gebot.                                                                                wertvollste Kräfte aller Kirchen und Bekenntnisse                           hatte, wir alle sollten uns endlich einmal wirklich
M ag sie Rückfälligkeiten zeigen und Schwächen                                        sich in d e r Union brüderlich die H an d reichen zum                       um die politischen Dinge bekümmern, wir sollten
haben! Doch nur die können solche Mängel fort­                                        gemeinsamen Dienste an unserem Vaterlande.                                  nicht immer die klassenmäßigen Vorurteile o d er
räum en, die in ihren Reihen stehen. Und so bin                                       Darin liegt die große zusammenfassende Kraft der                            die allgemeinen Stimmungen des Tages nach­
ich d a b e i un d bin ihr um ihrer M ög l i ch k e i t e n willen                    Union, die ihrem politischen Wollen b ew ußt nicht                          beten, sondern ernsthafter nachprüfen, wieso es
verschrieben.                                                                         eine materielle, sondern eine sittlich-seelische                            den n mit der Or g an i sa t i o n unserer gesellschaft­
                                                                                      Grundlage gegeben hat, von der aus sie Stellung                             lichen A n g e l e g e n h e i t e n s o schlecht b e s t el lt ist^ —
Dr . W a l t h e r S c h r e i b e r                                                  n immt zu d e n F r a g e n d e s G e m e i n s c h a f t s l e b e n s in  d as mußte doch tiefere Gründe haben, die nicht
                                                                                      Wirtschaft und Staat. Der Geist der Hilfsbereit­                            nur im guten Willen d es einzelnen, so n d e rn in
Die Christlich-Demokratische Union                                                    schaft und Nächstenliebe bestimmt ihre Haltung                              der Organisation selbst zu suchen waren. Um das
                                                                                      in allen Fragen der sozialen Entwicklung. Statt                             s e l b e r erst zu l er nen und um mich d a n n für ei ne
Die Christlich-Demokratische Union ist eine n eue                                     klassenmäßigen oder staatlicher. Despotismus ver­                           Ä n d e r u n g e i n zu s et ze n, bin ich e i n g e t r e t e n . Ach, so
und junge Partei, die sich nicht a u f eine la n g ­
jährige Tradition stützen, a b e r des hal b auch nicht
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