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/ 'T 'X e r Mann hatte einen Baitt und war schon                         run                             Eben noch war es geschwollen, das Brot; jetzt
  / ) etwas älter. Zu alt beinah für die Frau.                                                           nahm es ab, Stück für Stück, und zerran.
         Und dann war auch noch das Kind da.                              ERZÄHLUNG                      Da begriff er. Frau hin, Frau her; er hatte die
 Ein ganz kleines. Das schrie dauernd, denn es                                                          Wahl jetzt; entweder sich’s auflösen zu lassen
 hatte Hunger. Auch die Frau hatte Hunger. Aber                                    VON                  oder es selber zu essen.
 sie war still, und wenn der Mann zu ihr hinsah,                                                         Er dachte, wenn ich es nicht esse, geht es ka­
 dann lächelte sie. Oder versuchte es doch               W O LI D IE TR IC H SCHNURRE                    putt; ich bleibe schlapp, und wir gehn alle drei
 wenigstens. Der Mann hatte auch Hunger.                                                                vor die Hunde. Eß ich es aber, bin wenigstens
                                                     Der Mann lief. Er hatte das Brot in den Hemd­      ich gekräftigt.
 Sie wollten in ihre neue Heimat. Die alte war       ausschnitt geschoben. W ie über eine Reliquie      Er sagte es laut. Er mußte es laut sagen. Wegen
 innen verboten. Sie wußten nicht, wo ihre neue      hielt er die Arme darüber.                         der ändern Stimme in ihm, der leisen.
 Heimat lag. Sie wußten nur, daß es ein Land         W ind kam auf. Tropfen fielen. Sie knallten wie    Er sah nicht zum Himmel, der im V/esten auf-
 sein müßte, in dem niemand mehr verfolgt            Zungenschnalzen auf den dörrenden Boden.           hellte. Er gab nicht acht auf den Regen, der
 werden dürfte.                                      Der Mann rannte. Das Brot, dachte er, das Brot.    nachließ. Er sah auf das Brot.
 Sie waren in einem Lager gewesen, einer Stadt       Aber der Regen war schneller. W eit vor dem        Hunger, dachte es in ihm, Hunger. Brot, dachte
 aus Baracken. Man hatte Draht um sie ge­            W ald noch setzte er ein. Blitze zerrissen das     er, Brot.
 spannt. Einmal am Tag gab es Suppe.                 Himmelswehr. Es goß.
'Jetzt waren sie frei. Der Mann hatte dem Sol­       Der Mann preßte die Arme an das Brot. Es           Da tat er's.
 daten am Eingang den Hals zugedrückt.               klebte. Der Mann schrie. „Aufhören!" brüllte       Er ergriff es mit beiden Händen. Er drückte es
                                                     er, „aufhören!" Doch der Regen nahm zu.            zu einer Kugel zusammen. Er preßte das Was­
 Sie liefen durch W ald, Kiefern. In denen           Der W ald vorn und das Dorf hinten waren wie       ser heraus. Er biß hinein. Er schlang; er
 knisterte es. Beeren gab es nicht. Die hatte die    weggewischt. Dunstfahnen floppten über die         schluckte. Kniend, würgend, ein Tier.
 Sonne verbrannt.                                    Heide. In den Sand gruben sich Bäche.              Seine Finger krallten sich in den Sand, in die
 über den Schneisen flackerte Hitze. Das biß­        Der Mann blieb stehn. Er keuchte. Er stand         Heide. Die Augen hielt er geschlossen. Er zit­
 chen W ind wehte nur oben. Es war für den           vornübergeneigt. Das Brot hing ihm im Hemd,        terte. Vieh, sagte etwas in ihm, Vieh. Er fiel in
 Bussard gut. Reh und Hase lagen hechelnd im         unter der Brust. Er wagte nicht, es anzufassen.    sich zusammen. Seine Schultern zuckten. Als er
 Farn.                                               Es war weich. Es trieb auf. Es blätterte ab.       auftaumelte, knirschte ihm Sand zwischen den
 „Kannst du noch?" fragte der Mann.                  Er dachte an die Frau, an das Kind. Er knirschte   Zähnen.
 Die Frau blieb stehn. „N ein", sagte sie.           mit den Zähnen. Er verkrampfte die Hände. Die      Er fuhr sich über die Augen. Er blinzelte. Er
 Sie setzten sich. Die Kiefern hatten den Non­       Ellbogen preßte er eng an den Leib. So glaubte     starrte in den Himmel. Er schrie. „Hund!" schrie
 nenfraß. Blieb der W ind weg, hörte man die         er, es besser schützen zu können.                 er, „Hund!"
 Raupen die Nadeln schmatzen. Das knisterte.         Ich muß mich über es beugen, dachte er. Ich       Sonne brach durch das Grau, die Regenfahnen
 Auch rieseln tat es. W ie Regen.                    muß ihm ein Dach machen. Er darf mir’s nicht      hatten sich in Dunst aufgelöst. Ein paar Trop­
 „Nonnen", sagte der Mann, „sie fressen den          schlucken, der Regen; er darf nicht.              fen noch, dann war er vorüber, der Guß.
 W ald auf."                                         Er kniete sich hin. Er neigte sich über seine     Helles Blau kam. Der Regen verdampfte.
 „W o sind die Vögel?" fragte die Frau. „Ich         Knie. Der Regen rauschte. Keine zehn Schritte     Der Mann stolperte weiter. Die Handgelenke
weiß nicht", antwortete der Mann, „ich glaube,       weit konnte man sehen.                            schlenkerten ihm an die Hüften. Das Kinn lag
 es gibt keine Vögel mehr."                          Der Mann legte die Hände auf den Rücken.          auf der Brust.
 Die Frau legte das Kind an die Brust. Aber die      Dann beugte er die Stirn in den Sand. Er sah      Am Waldrand lehnte er sich an eine Kiefer.
 Brust war leer. Da schrie das Kind wieder.          sich in den Halsausschnitt. Er sah das Brot. Es   Von weit scholl der Regenruf des Buchfinken
 Der Mann schluckte. Als das Kind anfing, heiser     war fleckig. Es bröckelte. Es sah aus wie ein     her. Auch ein Kuckuck schrie kurz.
 zu werden, stand er auf. Er sagte: „Es geht so      Schwamm.                                          Der Mann suchte die Zeichen an den Bäumen.
 nicht länger."                                      Ich werde warten, dachte der Mann. So werde       Er tastete sich an ihnen zurück. Im Farn, im
 Die Frau nickte. Sie lächelte. Bis auf die Augen.   ich warten, bis es vorbei ist.                    Blaubeerkraut gleißten die Tropfen. Die Luft
 In denen stand Wasser. „Ich hol was zu essen",      Er wußte, daß er log. Das Brot hielt nicht fünf   war dick vor Schwüle und Regendampf.
 sagte der Mann.                                     Minuten zusammen. Dann würde es sich auf-         Den Nonnen war das Gewitter gut bekommen.
 Dann ging er.                                       lösen. Würde wegfließen. Vor seinen Augen.        Sie wanderten an den Stämmen. Der Mann
                                                     Er sah, wie ihm der Regen um die Rippen           machte oft halt. Er fühlte sich schwächer als
 Er ging durch den sterbenden W ald. Er machte       herumfloß. Auch unter den Achseln schossen        auf dem Herweg. Sein Herz, seine Lunge be­
 Zeichen an den Bäumen. Er kam an eine Sand­         zwei Bäche hervor. Alles spülte übers Brot hin.   engten ihn. Und Stimmen, die vor allem.
 rinne. Die war ein Bach gewesen. Er lief über       Sickert in es ein, nagte an ihm. Was abtropfte,   Er lief noch einmal drei Stunden, die Rastpau­
 einen schwarzen Platz. Der war eine Wiese ge­       war trüb, und Krümel schwammen darin.             sen mit eingerechnet. Dann sah er sie sitzen.
 wesen.                                                                                                Sie hatte den Oberkörper an einen Baumstamm
                                                                                                       gelehnt. Das Kind lag ihr im Schoß.
 Er lief zwei Stunden. Dann fing die Sandheide                                                         Er ging auf sie zu.
 an.                                                                                                   Sie lächelte. „Schön, daß du da bist."
                                                                                                       „Ich habe nichts gefunden", sagte der Mann.
 Auf einem Stein lag eine Kreuzotter. Sie war                                                          Er setzte sich.
 verdorrt. Das Heidekraut staubte.                                                                     „Das macht nichts", sagte die Frau und wandte
 Später kam unbestellter Acker. Einmal ein Dorf.                                                       das Gesicht ab.
 Es war tot.                                                                                           Wie grau sie aussieht, dachte der Mann.
                                                                                                       „Du siehst elend aus", sagte die Frau; „Versuch
 Der Mann setzte sich auf eine Wagendeichsel.                                                          etwas zu schlafen."
 Er schlief ein. Im Schlaf fiel er herunter. Als                                                       Er streckte sich aus. „Was ist mit dem Kind?"
 er aufwachte, hatte er Durst. Sein Gaumen                                                             fragte er heiser. „Warum ist es so still?"
 brannte.
 Er stand auf. Er taumelte in ein Haus. In dem                                                         „Es ist müde", sagte die Frau.
 Haus war es kahl. Die Schublade war aus dem                                                           Der Atem des Mannes fing an regelmäßig zu
 Tisch gerissen und lag auf der Erde. Die Töpfe                                                        gehn.
 waren zerschlagen. Auch die Fenster. Auf der                                                          „Schläfst du?" fragte die Frau.
 Ofenbank lag ein Tuch. In das Tuch war ein                                                            Der Mann schwieg. Nur die Nonnen raspelten
 halbes Brot eingeschlagen. Es war hart.                                                               jetzt.
 Der Mann nahm es und ging. In den ändern                                                              Als er aufwachte, nach einer Stunde, hatte sich
 Häusern fand er nichts. Auch kein Wasser. In                                                          die Frau ausgestreckt und sah in den Himmel.
 den Brunnen lag Aas.                                                                                  Die Arme hatte sie unter dem Kopf verschränkt.
                                                                                                       Das Kind lag neben ihr. Sie hatte es in hre
 Von dem Brot getraute er sich nichts zu bre­                                                          Bluse gewickelt.
 chen. Er wollte es der Frau lassen. Feldfrüchte                                                       „Was ist?" fragte der Mann.
 fand er nicht. Die hatten die Eroberer verfüttert.                                                    Die Frau rührte sich nicht. Sie sah in die Wipfel.
 Auch Tiere gab es nicht. Nur tote Katzen, ein
 paar Hühner. Sie westen.                                                                              „Es ist tot", sagte sie dann.
 Ein Gewitter hing in der Luft.                                                                        Der Mann fuhr auf. „Tot", fragte er, J o W
 Auf dem Feld zertrat der Mann eine Eidechse.                                                          „Es ist gestorben, während du schliefst", sagte
Sie zerfiel in Staub. Es donnert. Vor dem W ald
 standen Glutwände.                                                                                    die Frau.
 Der Mann ging vornübergebeugt. Das Brot                                                               „Warum hast du mich nicht geweckt?"
 hatte er unter dem Arm. Schweiß troff ihm in                                                          „Warum sollte ich dich wecken?" fragte die
den Bart. Seine Fußsohlen brannten. Er lief
schneller. Er blinzelte. Er sah in den Himmel.                                                         Frau.
 Der Himmel war jschweflig. Es blitzte. Nacht­
wolken kamen. Die Sonne verschwand.
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