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nȀe EINHEIT EUROPAS
POLITISCHE NOTWENDIGKEIT, HOFFNUNGEN, WÃœNSCHE, SCHWIERIGKEITEN UND BEDENKEN
j , n diesen Tagen entscheidender weltpolitischer Spannungen Diese Tatsache hat „M osaik“ zum Anlaß genommen, eine Reihe
von Fragen, die sich auf einen Zusammenschluß europäischer
und Klärungen ist die Frage des Zusammenschlusses der euro Länder beziehen, an bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen
päischen Länder zu einer politischen, zumindest zu einer wirt Lebens zu richten. Wir veröffentlichen hier unsere Fragestellung
schaftlichen Konföderation G egenstand des Nachdenkens und und unter der gleichen Ziffer die Antworten, die wir erhielten.
der A ussprache verantwortungsvoll denkender Politiker geworden.
1. H alten Sie eine politische Vereinigung Europas in den nächsten 1 0 Jahren fü r möglich?
2. Würden Sie eine solche wünschen und in welcher Form?
3. Wo sehen Sie die größten W iderstände?
4. Sprechen wirtschaftliche Gründe nach Ihrer Ansicht fü r oder gegen eine Vereinigung?
5. Falls ja , halten Sie dann ein N ebeneinander von geplanter und freier Wirtschaft fü r
möglich ? O der m üßte eines dieser beiden Systeme ausschließlich zur Anwendung kommen?
6. Welche Vor- und N achteile w ürden sich a u f kulturellem G ebiet bei einem Zusam m enÂ
schluß ergeben?
B e sie lu x spricht t 4. Sie s p re c h e n f ü r ein e V erein ig u n g .
5. Es l ä ß t sich d e r s t r e n g e N a c h w e i s f ü h r e n , d a ß e i n e i n t e r n a t i o n a l e F ö d e Â
1. Ich h a l t e sie fü r nicht so m ö g lic h a ls w ü n s c h e n s w e r t , u nd z w a r u n te r d e n ration der erwünschten nichttotalitären Art mit irgendeiner Form d er vorÂ
au genblicklichen politischen U m stä n d e n für so d rin g e n d , d a ß sie e h e r als in h e rrs c h e n d g e p l a n t e n W ir ts c h a f t u n v e r e i n b a r ist. Die V e r e in ig u n g s fo rm d e r
z e h n J a h r e n z u s t a n d e k o m m e n s o llte . Es w ä r e f ü r E u r o p a e i n e h e r r l i c h e A u f  g e p la n te n W irtsc h a ft (Kollektivismus) ist d e r „ G r o ß r a u m " in V e r g a n g e n h e it
g ab e, w enn die einzelnen Völker zusam m enfinden könnten, um nicht A nhängsel und Gegenwart.
einer der beiden großen W eltm ächte zu sein. Auf dem Rücken der e u ro p ä  6. W e n n w ir uns d e n Z u s a m m e n s c h l u ß nach d e m V o r b i l d e d e r S c h w e i z v o r Â
ischen Völker könnte sonst evtl. deren A useinandersetzung d u sg e trag en w erden. stellen, so w ürde er kulturell, entsprechend dem Prinzip des echten FödeÂ
Die zw ingende N otw endigkeit des Zusammenschlusses wird vielleicht auch gut ralismus, W ahrung der M annigfaltigkeit, Toleranz und Dezentralisation bei
für Deutschland sein, das auf diese W eise seine Rehabilitation vor der W elt starker gegenseitiger Befruchtung und Ausschaltung der besonders bösartigen
finden könnte, die selbstverständlich nach zwei W eltkriegen und nach den Form des Nationalismus, nämlich des Sprach- und Kulturnationalismus,
schrecklichen Erfahrungen des letzten Krieges ihre Bedenken Deutschland bedeuten.
gegenüber haben muß.
2. D o ch n ur im R e sp e k t d e r p o litisch en un d k u ltu re lle n V o r a u s s e t z u n g e n d e r Als Deutscher Prof. Ernst R euter:
einzelnen L änder, d a bei d e r historischen T radition in E u ro pa ein zu straffes
politisches Einheitssystem ein er V erein ig un g nur Schw ierigkeiten in d e n W e g 1. O ja, ich h a l t e sie in z e h n J a h r e n f ü r m ö g l i c h , s o g a r mit d e n V ö l k e r n
stellen müßte. Europas, bei d enen es heute noch den Anschein hat, als ob sie nicht für
3. Im U n v e r s ta n d d e r M en sch en . M a n m ü ß te sich lo s re iß e n k ö n n e n v o n Er e in e so lc h e Z u s a m m e n a r b e i t zu g e w in n e n w ä r e n . A b e r ich will mich lieb er
innerungen und Vorurteilen und nur auf d as g ro ß e Ziel d e r G esundung der d ip lo m a tisc h e r a u s d rü c k e n und s a g e n , d a ß ich e in e V e re in ig u n g nicht für
W elt und eines dauerhaften Friedens sehen. Das interessiert mehr als alle unm öglich h a lte , d. h. e b e n s o v ie l w ie für nicht g a n z sicher. D enn u n b e r e c h e n Â
kleinen Lösungen. bare Faktoren könnten die Entwicklung hemmen, allerdings ebenso fördern.
4. W e n n au ch w irtschaftliche G r ü n d e e in e V e r e in ig u n g im e in z e ln e n h e m m e n 2. Die V e r e i n i g u n g n u r z u w ü n s c h e n , s c h e i n t m ir z u w e n i g z u se in. Es ist
könnten, hat doch gerade Benelux gezeigt, d a ß man über kleinere W id er für mich d a s Ziel, d a s mit höchster Intensität erstreb t und mit einem wirklich
stän d e mit gutem W illen d as g ro ß e Ziel erreichen kann. g u t e n W i l l e n v e r f o l g t w e r d e n m u ß . Es g i b t k e i n e g e s i c h e r t e d e u t s c h e E x is te n z
5. Ich h a l t e ein N e b e n e i n a n d e r nicht n u r fü r a b s o l u t m ö g lic h , s o n d e r n s o g a r ohne die Lösung dieses Probfems. Nich|g w äre utopischer als zu glauben,
w eg en d er V erschiedenartigkeit d e r wirtschaftlichen Bedingungen in den ein d aß man einen isolierten deutschen G esundungspro^eß durchführen könnte
zelnen Ländern Europas für natürlich. ohne einen europäischen.
6. Ich k a n n nicht s e h e n , d a ß N a c h t e i l e a u f k u l t u r e l l e m G e b i e t e n t s t e h e n D er Sinn d e r A u s e in a n d e r s e tz u n g e n ist nur als E ta p p e a u f d ie s e s Ziel hin
könnten. Im G eg en teil, v/enn m an die M enschen wirtschaftlich n ä h e r bringt, zu v e r s te h e n . W i r D eu tsch en sind d e r Pfahl im Fleisch d e r a n d e r e n , w a s in
wird' sich n atu rg em äß auch eine A nnäherung auf geistigem und kulturellem irgendeiner Form positiv bereinigt w erden muß. W a s nützte es, w enn die
G ebiet ergeben. Und das gerad e gebraucht vielleicht der europäische Kon S i t u a t i o n Berlins f ü r d i e s e S t a d t a l l e i n g e k l ä r t w ü r d e ? Es m u ß d i e f ü r E u r o p a
tinent, d e r zur Zeit m e h r in d e r Luft h ä n g t als irg e n d e in a n d e r e s Land. notw endigen konstruktiven Folgen haben, für das Europa, zu dem Polen,
die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und der Südosten gehören. Kommt
W ilhelm Röpke (Genf) antwortet: ein solcher Zustand des V erständnisses mit all diesen europäischen Völkern
z u s ta n d e , so ist Rußland in d e r Position, d ie ihm nach d e r Struktur seines
1. D a ein v e r e i n i g t e s E u r o p a nicht h a lb t o t a l i t ä r u nd h a l b n ic h tt o ta l it ä r sein V olkes und nach d e r A rt s e in e r natürlichen K räfte g e m ä ß ist. S a g t m a n v o n
kann, so hängt die Vereinigung Europas zu allererst von der Vereinheit vornherein, Rußland gehört dazu, so schließt das die Befreiung der Völker
lichung des politischen und m oralischen Prinzips ab. Dieses kann sow ohl das aus. Die europäischen V ölker müssen sich Rußland g e g e n ü b e r verschließen,
totalitäre w ie d as nichttotalitäre (freiheitliche) Prinzip sein. D arüber karfh solange es M achtforderungen aufstellt.
niemand eine Voraussage machen. 3. Im V erh ältn is zw isch en Frankreich und D eu tsch lan d , a b e r au ch in d e m
2. Eine V e r e i n ig u n g w ü r d e ich nur w ü n s c h e n , w e n n sie a u f d e r G r u n d l a g e Verhältnis Polen und Deutschland. G erad e Frankreich und Deutschland
d e s n ic h tto ta litä re n (freiheitlichen) Prinzips e r f o l g e n w ü r d e , d. h. zu g leich in müssen in ein gegenseitiges Verhältnis des Gleichgewichtes kom m en. Nicht
d er Form einer freiwilligen und echten Föderation d e r europäischen Länder, e tw a im Sinne d e r alten G leichgew ichtspolitik, so n d e rn m eh r d e s G efühls
nicht o b e r in d e r Form irg e n d e in e s n e u e n „ G r o ß r a u m s " . und d er Harm onie. Beide Völker betrachten sich mit Sorge und M ißtrauen.
3. D er g r ö ß t e W i d e r s t a n d g e g e n ein e g e s a m t e u r o p ä i s c h e V e r e in ig u n g d ie s e r Deutschland stellt im m er w ie d e r die F ra g e: w ohin m ag sich Frankreich e n tÂ
Art g e h t von d e r Existenz d e s russischen „ G r o ß r a u m e s " in O st- und M ittel w i c k e l n ? Es m ö c h t e , d a ß d i e s e N a t i o n i h r e r P r o b l e m e H e r r w i r d , um d a n n
europa aus. Die d aher dem W esten drohende G efahr erleichtert die Ver freier den deutschen Fragen begegnen zu können. Hat das französische Volk
einigung W e s te u r o p a s , die geradezu zu einer Lebensfrage wird. Je Zutrauen zu sich selbst, d a n n wird es auch m ehr Z utrauen zu uns haben.
g rö ß e r d ieser Druck vom to ta litä re n O ste n , um so m ehr ist zu hoffen, d a ß D e u t s c h l a n d d a g e g e n m u ß d a s G e f ü h l d e s A u s g e s t o ß e n s e i n s v e r l i e r e n . Es m u ß
d ie beträchtlichen W id e rstä n d e , d ie sich selbst einer w e s t e u r o p ä i s c h e n zu dem Bewußtsein kom m en, d a ß es seine ökonom ischen A ngelegenheiten
U nion e n tg e g e n s te lle n , ü b e r w u n d e n w e r d e n . D as e rn s te s te H indernis ist d e r b eh errscht und selbst reg eln kann. Fühlt es sich in diesem Punkt sicherer, so
W iderspruch zwischen dem Prinzip der freiwillig-genossenschaftlichen i n t e r  wird es sehr viel selbstverständlicher auf berechtigte Empfindlichkeiten
n a t i o n a l e n Föderation und dem vorherrschenden politisch-wirtschaft Frankreichs reagieren. Die A nnäherung dieser beiden Völker zu unterÂ
lichen Zentralismus i n n e r h a l b der einzelnen N ationen. Der Föderalismus stützen wird auch eine wesentliche A ufgabe Englands sein, das heute sicher
muß, wie die W ohltätigkeit, zu Hause beginnen. sehr viel m eh r b e re it ist, hier h elfen d ein z u g re ife n . K o m m en D eu tsch lan d