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„AchGott, die Konst ist lang...!”                                                             Man kann seine ausländischen Freunde nur bitten, d aß sie uns rechtzeitig
                                                                                              w arnen, muß a b e r vor allem sich selbst feste Grenzen ziehen. Anfang der
          oder: Wie lernt man frem de Sprachen ?                                              dreißiger Jah re hielt ein junger japanischer G elehrter in einem sehr exklusiven
                                                                                              wissenschaftlichen Kreise Berlins einen naturwissenschaftlichen Vortrag in
           VON AGNES v. ZAHN-HARNACK                                                          deutscher Sprache nach einem sorgfältig ausgearbeiteten Manuskript. Aber
                                                                                              die Diskussion wollte er in freiem Stil leiten, und er eröffnete sie mit der
3y2Seil Jahren bem ühen sich in Deutschland T ausende von Menschen, eine                      Frage: „H at einer von den Anwesenden noch etw as zu meckern? Ein solches
                                                                                              Mißgeschick kann jedem w iderfahren, der sich in einer fremden Sprache nicht
frem de Sprache, Englisch, Französisch o d e r Russisch, zu erlernen. W e r sich              g a n z b ew uß t beschränkt: man muß in ihr auf Jah re hinaus freiwillig arm,
                                                                                              bescheiden und asketisch sein, so lange, bis — ja, bis der dürre Stab in unserer
einer solchen Bemühung unterzieht, macht die seltsamsten Erfahrungen.                         Hand plötzlich ausschlägt und zu blühen anfängt. Dies geheimnisvolle Er­
Allem vorauf steht die eine, d a ß das Erlernen einer Sprache nicht ein gleich­               lebnis, d a ß die fremde Sprache uns an Kindes Statt annimmt, da ß sie uns also
                                                                                              Muttersprache wird, in der wir weinen und lachen, schwärmen und zürnen
mäßig fortschreitender P rozeß ist. Keine g latte Straße führt dem Ziel ent­                  dürfen, kann nur wenigen Menschen zuteil werden. Einige Begnadete mögen
gegen, sondern man ersteigt ein Plateau nach dem ändern, mit sehr müh­                        es erleben; wer zu ihnen zählt, der darf sich glücklich preisen, weil das

seligen Klimmzügen dazwischen. Auf jedem Plateau gibt es eine kurze Rast,                     Schicksal ihm zwei Leben geschenkt hat.

em e mit Befriedigung gen o ssen e Umschau — a b e r d ann geh t d ie Kletterei

weiter, dem Gipfel zu, der sich ewig in W olken verbirgt.
Begleiten wir den Bergsteiger! Da er ein gebildeter und einsichtiger Mann

ist, konnte er sich die tiefste Stufe e rs p a re n : er hat sich niemals als „con-

seiher d e calcul" vorgestellt und niemals nach dem Essen seinen Tisch­

genossen ein joviales „repas! repas!" zugerufen. Dagegen hat er das getan,

was Säuglinge instinktmäßig tun: er hat die Gesichtszüge seiner ausländischen

G e sp rächsp artn er studiert. Es genügt zum Sprachenlernen nicht, d a ß man
— nach Luther — den Leuten „aufs Maul" schaut; man muß das Heben und

Senken der Augenlider, die Augenbrauen, die kleine Bewegung der Nasen­
flügel, d as Spiel der H ände beobachten und muß lernen, sich dem allen
anzupassen. Jede Nation spielt hier nach eigenen Regeln. Und so gewinnt
es seinen guten Sinn, wenn der ausgezeichnete Goethe-Übersetzer Saunders
b e h a u p te te : W e r Englisch wirklich lernen will, muß sich in eine Engländerin
verlieben. Der Lernende muß tatsächlich ein liebevoller Beobachter sein; er

erfaßt dann alle Empfindungsskalen, von der konventionellen Höflichkeit zur                   •BÄU *
echten Teilnahme, von leiser Befremdung bis zur Ablehnung, von distanzierter
Amü'iertheit bis zum Spott oder zum derben Spaß; und er lernt zugleich,
welcher sprachliche Ausdruck dem jeweiligen physiognomischen Bild zu g eo rd n et

ist, und in welchem Ton man ihn sprechen muß. Damit hat man die erste

Plattform erreicht. Man kann nun mit Anstand in einen frem dsprachigen Kreis                  * n k a ur                V E R K A Uf

treten, weiß, in welcher Stimmlage man e tw a: „thanks, fine!" zu sagen hat                   U m arbeitungen ultei 'chmuckstücfa
                                                                                                           in m odern e bnrm en
(völlig unabhängig vom wirklichen Befinden!), kann eine Tasse Tee anbieten,
einiges über das W etter sagen und die Armut des Vokabelschatzes dadurch

verdecken, d a ß man die vom Partner benutzten W o rte in einer etw as a n d e re n           SERUM-STEGLITZ / STU8ENRAUCHPIATII
                                                                                                   « i dar Flora- Eck« S chloßsfra& a
Zusammenstellung reproduziert. Eigentlich, so findet man, ist es g a r nicht so
schwer. Mit Behagen fühlt man sich als gesellschaftsfähig.                                                           Rul I I 26 07
Aber dies Behagen weicht schon nach kurzer Zeit und macht ganz anderen
                                                                                                                                                                                Pudding
Empfindungen Platz. Man wünscht nun, in der frem den Sprache auch einmal                       ? Schicksal 1949 Zukunft?
etwas Sprechens- und Hörenswertes zu sagen, einen tieferen Gedanken, eine                                                                                                           eine Freude für
echte Empfindung auszudrücken — und siehe d a : es geht nicht! Man weiß                       Ab h “ u*e b'S em sc h i d e r kom m n d e n '2 A lonafe                              groß und klein,—
alle Vokabeln, man hat seine G ed an k en klar im Kopf, und doch gelingt es                   sag t hn en Ihre C harakiefekizie g ü n stig e und kritische                          wohlschmeckend,
nicht, W o rte und G e d a n k e n zusam m enzubringen. Es gelingt erst dann, wenn            Z eiten n t erut, Liebe, Ehe und C h a akterveranlagung                               nahrhaft, preiswert.
                                                                                              P reis 2 ,— D M L ur lahrasw egw eisar rm gt Ihnen, wie
G e d a n k e und W o rt gleichzeitig g e b o re n w erden, d. h. wenn wir uns von d er       sich jeder l^onat g-staltef Preis 4 , - DM Für b eide                        N e u ß er N u d e l- u n d S tä rk efab rik
                                                                                              A rbeiten (S o n n en st in a sp ro g n o sn n ) G e b u rtsta g erfor­
Vorstellung gelöst haben, d a ß wir eine Übersetzung vollziehen müssen. W er                  derlich T raum deuter (D e u tu n g sta b e lle ) mit ü b e 4 5 0            Pet. Jos. Schram, N euß a.Rh.
                                                                                              D e u tu n g e n . P re is !. — DM B itte K o s te n d e r B e s te llu n g
einen Vortrag in einer frem den Sprache zu halten hat, d a rf ihn nicht deutsch               b e ilü g en Ke |n e N a c h n a h m e . Ind SfoB-HorosIcope u n d
                                                                                              HandschtK l-D euiung laut P reisliste
niederschreiben, ihn dann übersetzen und auswendig lernen, sondern muß
                                                                                              Astrologisches u. graphologisches Büro „M erkur"
— so gut •o d e r schlecht er es verm ag — ihn unmittelbar in d e r fremden                        DUsseldorl-Gerresheim, BertastraSe 12/23

Sprache verfassen. Dann wird er, trotz aller Fehler, die Hörer gewinnen, die

einer Übersetzung g eg e n ü b e r immer kühl bleiben. Denn die Sprache ist nicht

ein Kleid, das wir den G edanken überziehen (der Ausdruck „in W o rte kleiden"

hat einen th eaterm äß ig en , unw ahrhaften Klang!), sondern sie ist die Haut,

die aen Gedanken umschließt, durch die hindurch er atmet und lebt.
Aber wie lernt man in einer frem den Sprache d e n k e n ? Durch unablässiges
Lesen mit Augen und O hren. Damit hat man d an n d a s zw eite Plateau e r­

klommen, und wieder gibt es hier eine kleine Rast in Sicherheit und Selbst­                               direkt andtn
zufriedenheit. Bis zur nächsten Phase! Denn nun taucht die Frage auf, ob                                  Verbtäuihir

 as# was wir uns an g ele sen haben , wirklich die Sprache unserer Zeit ist, o d e r
®'n© literarische, vielleicht sogar eine schon historisch g e w o rd e n e Sprache.

an hest Balzac und Stendhal, Dickens und Thackeray — ab e r wie w äre es

uns, ,venn wir in der Sprache J e a n Pauls o d e r Immermanns o d e r Gutzkows
° ngeredet w ürden? Deutsch w äre es, abei nicht unser Deutsch! Man liest
M aupassant, Hardy und G alsworthy, an e rk a n n te Muster eines guten Stils —
Viei|e.cht zu gut für d en H au sgeb rau ch? U n w ä g b a re Sprachv erän derun gen

vollziehen sich in w enigen Jahrfünften, die M elodie der S ätze ä n d e rt sich                             I tPEZ D A M d U r i N D M
von G e n e ratio n zu G en eratio n. Aus Büchern läßt sich das ü berhau pt nicht
lernen. isiun — der Lernende bescheidet sich; vorsichtig h a n d h a b t er seine                           Tordern fU nochhiuU
                                                                                                             Mutrt PrrisäsUAn.
i stände, vermeidet Pathos und hat auch eingesehen, daß die Benutzung von
                                                                                              KmrttüicHggjgg^!
lexikalischen W erken ihm wenig hilft; im G egenteil: das W o rt steht oft
                                                                                              ILßlil-ttEflUOfiliOfir-OlI. DIMEMAlil I I U l
9 e ra d e z u als Frem dkörper in seinen Sätzen und muß w ieder eliminiert werden.
Ah er nun kommt erst das schwerste, am peinlichsten empfundene Stadium.

  as Problem der Bilder und Vergleiche, der scherzhaften oder ironischen                                                                                                   Hersteller:Wilhelm Blank, Göppingen
t^ Sc,|ücke, der idiomatischen W e n d u n g e n erh eb t sich. Darf man in die Intimi-

W if1 emer fremden Sprache emdringen, ohne taktlos zu w erden? Fällt der                                                 A N Z E IG E N -V E R W A L T U N G
e r . c*'e scharfe Pointe, die man sich in einer a n d e re n als der Muttersprache
                                                                                                           iuiag
Ein k '    a u ^ c*en Sprechenden zurück, weil er, ohne g e n a u e Sicht —
                                                                                              Internationale Werbe- und A nzeigen-G eselIschaft mbH.
altef01*' ~ nicht richtig gezielt hat oder weil sein G eschoß von g a n z ver-
                                                                                              BEK LI IN- GR UN EWALD, B I S M A RC KP L A T Z / FEL. 9 7 5 3 12
frqr e.! I n s t r u k t i o n w a r? Ein Beispiel: In unserer Kindheit verm ah nte uns eine  F R A N K F U R T A M MAIN, EYSSENECKSTR. 31 / TEL. 5 55 09

l'eQ u°SlSC^e Lehrerin häufig, nicht heru m zu zapp eln , „comme le diable d ans
d as lsStacr6 "- Ein w u nd erbar gallischer Vergleich, fast schon Rabelais; a b e r

letzt er e t ^ ein Paa r J a hrz e fir,fe f*er — w a s 9 '^ c*er Ausdruck h eute ? Ver-

Eine b e s o ^ *<ler|ka le G em ü ter; ist er hoffnungslos veraltet?

Snmmeih n  Gefahrenquelle sind alle die Ausdrücke, die unter dem

Ok " e ? "Slang" gehen. Hier ist Takt alles! Schon d as be denkenlose

" eine unstatthafte Anbiederung der fremden Sprache gegenüber.
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