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OTTO                                                                       BACH:

(sU iauih                                                                         u

„D e r Rhein, Deutschlands Strom , nicht Deutsch­                          beiden Seiten ein Irrtum . Karl der G roße w a r                 nur die Idee der europäischen Einheit verkündet,
lands G re n z e " ist eine jener sinnlosen n a tio ­                      das, w as w ir in d e r zw e ite n H ä lfte des 20. Ja h r­      d ie inzwischen im E u ro p a ra t und d e r Bewegung
nalistischen Parolen, die einem falschen Ziele                             hunderts erst w ieder werden müssen: Europäer.                   fü r die Einheit Europas beginnt G estalt anzu­
dienend von sehr kurzlebiger politischer Bedeu­                                                                                             nehmen. Er hat v o r a lle m d a ra u f hingew iesen,
tung sind. G e w iß ist d e r Rhein auch ein d e u t­                      W e r die Landschaft und die Menschen zu bei­                    daß eine w irksam e und echte Einheit Europas
scher Strom , da er durch Deutschland flie ß t. Er                         den Seiten des Rheins und insbesondere des                       auf einer deutsch-französischen Versöhnung be­
e n ts p rin g t in d e r Schw eiz und m ündet in H o l­                   N iederrheins betrachtet, der muß mehr G em ein­                 ruhen müsse. Dieser G edanke, der von den
land in d ie See. Er ist d a h e r m ehr als ein                           sames als Trennendes feststellen. Der V olks­                    besten Deutschen und Franzosen seit vielen
deutscher S trom , e r ist ein S ym bol Europas,                           stam m d e r Franken, d e r im 3. J a h rh u n d e rt am         JahrzeK nten ve rtre te n w ird , ist re if zu seiner
heute mehr denn je. W enn d ie V ö lke r Europas                           N ie d e rrh e in a u ftra t, d ra n g im 5. Ja h rh u n d e rt  V erw irklichung. W enn er durch den Mun
ihre große gemeinsam e K ulturaufgabe jetzt                                bis an die Somme vor. Das d a m it begründete                    Churchills verkündet w ird , hat dies eine beson­
nicht b e g re ife n , kann es m org e n h e iß e n : „D e r               Frankenreich gelangte besonders unter dem                        d e re B ed e u tu ng : es ist d e r V erzicht G ro
Rhein, Asiens Strom , nicht Asiens G re n ze ."                            M e ro w in g e r C h lo d w ig (481— 511) zu b e d e u te n ­   britanniens auf die Jahrhunderte alte M acht­
Schon mehrere Jahrhunderte vo r Karl dem                                   d e r M ach t und de h nte sich durch Besiegung                  ausgleichspolitik a u f dem europäischen Kon
G roßen w aren die Landschaften zu beiden                                  der Burgunder, durch die Eroberung Thüringens                    tinent. W enn heute Straßburg als Sitz des
Seiten des Rheins m ite in a n d e r ve rb u n d e n . W e n n             und Bayerns b e trä ch tlich aus. Seit dem 7. Ja h r­            Europarates in Aussicht genom m en w ird , m ögen
heute Franzosen und Deutsche um die Ehre                                   hu n d e rt e rh o b e n sich d ie H ausm eier d e r M e ro ­    die V ö lke r Europas und vor allem die M en­
streiten, C a r o l u s M a g n u s , K a r l d e n                        w inger und begründeten die M acht der Karo­                     schen zu be id e n Seiten des Rheins d a rin nic *
 G r o ß e n , auch C h a r l e m a g n e genannt,                         lin g e r, d ie durch Pippin (751) d ie K ö n ig sw ü rd e       nur die europäische Bedeutung dieser Sta t
fü r sich in Anspruch zu nehm en, ist dies von                             erlangten und unter dessen Sohn Karl dem                         sehen, sondern ein Sym bol einer echten d eutsci
                                                                           G ro ß e n das Reich bis Eider, Ebro, U n te rita lie n ,        französischen V ersöhnung. S traß burg, seit Ja r
  ^ 'r) M ä d c h e n aus de m S c h w a rz w a ld , diesseits des Rheins  Saale, Böhm erw ald und Raab ausdehnten.                         hunderten der Z an ka p fe l zwischen Deutschlan
                                                                                                                                            und Frankreich, ist w ie keine andere Stadt e
                                                                           G em einsam ist den Menschen zu beiden Seiten                    rufen, als Sitz des Europarates die endgü tig e
                                                                           des N iederrheins noch heute die alemannische                    Beilegung d e r G egensätze zwischen Deutsch­
                                                                           M u n d a rt. Ihr G e b ie t reicht im O sten bis zum            land und Frankreich zum Ausdruck zu bringen.
                                                                           Lech (A ugsburg), u m fa ß t im Süden d ie ganze                 Am 14. Februar 842, ein Jahr v o r d e r D re ite ilu n g
                                                                           deutschsprachige Schweiz und im W e ste n das                    des Reiches Karls des G roß e n in Verdun, schwu
                                                                           Elsaß. Das H ochalem annische w ird in d e r                     ren sich in S tra ß b u rg Ludw ig der Deutsche un
                                                                           Schweiz und in Teilen des südlichen Baden                        Karl der Kahle, der erste „französische" K aro­
                                                                           gesprochen, w ährend das Niederalem annisch                      lin g e r, in den S tra ß b u rg e r Eiden gegenseitig d ie
                                                                           den Raum um Basel, das Elsaß und Baden um ­                      Treue. Jeder schwur den Eid in der Sprache,
                                                                           fa ß t. Eine beso nd e re A r t des A lem annischen              die d ie U ntertanen des anderen sprachen un
                                                                           ist das Schwäbische, das hauptsächlich in W ü r t­               verstanden, also Karl deutsch und Ludwig ran
                                                                           tem berg und Teilen Bayerns gesprochen w ird .                   zösisch. M ög e von Straßburg als Sitz des
                                                                                                                                            Europarates ein neuer Schwur ausgehen und
                                                                           Seit d e r T eilung des Reiches Karls des G roß e n              eine Sprache, die w ir alle verstehen: europäisch.
                                                                           durch den V e rtra g von V e rd u n im Jahre 843
                                                                           haben d ie V ö lk e r zu be id e n Seiten des Rheins
                                                                            in stä n d ig e n Fehden gestanden. Durch das A u f­
                                                                           komm en d er N a tio n a lstaa te n sind besonders
                                                                           zwischen Deutschland und Frankreich G egen­
                                                                           sätze entstanden, die das größ te Hindernis einer
                                                                           europäischen Verständigung wurden. Heute
                                                                           muß Europa werden, wenn die V ölker des euro­
                                                                           päischen und westlichen Kulturkreises nicht das
                                                                           O p fe r eines neuen Chingis Khan w erden
                                                                           w o lle n . W in s to n C h u rch ill hat in seiner Rede
                                                                           an d e r U n iv e rs itä t in Zürich im Jahre 1947 nicht
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