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MAKLfcN*: D I E T R I C H

Im W iener Ulm „Cafe Electric“ debütiert sie mit einem a n d e r e n Debütanten nam ens Willi Forst. Unter

G e z a von Bolvary ist sie n e b e n H arry Liedtke im ersten deutschen Film mit „Ton E inlage die ersle

deutsche Filmdarstellerin, die sozusagen „den Mund aufm achen“ darf, aber erst Sternbergs „Blauer

Engel" mit H olländers heute schon klassischem „Ich bin von Kopf bis Fuß au f Liebe eingestellt g a b e n

ihr die gro ß e C hance: Hollywood, Paris, London, die Fronttheater d er US-Army sind die Stätten un­

wahrscheinlicher Triumphe der Dietrich, die heute noch als Großm utter der W elt beweist, d a ß ihre

Beine n i e m a ls n u r e in „ g r o ß e r Bluff" w a r e n .  A ufnahm en: AP, Kosmos/Hecht, Peters, Ufa

    st sie Zufall o d er die glückliche V erkettung beso n d ere r U m stände zu                          mit einer für ein geistiges Ereignis fast beispiellosen Leidenschaft, den
      einem bestim mten Zeitpunkt, eine einm alige Konstellation von Zeit,                                Autor Oswald Spengler und den „Untergang des Abendlandes".

III Z u s t a n d u n d E reig nis a l s o ? O d e r d i e z e u g e n d e B e g e g n u n g z w e i e r  Zeit und U m stä n d e g a b e n hier g a n z offensichtlich einem Buch ein e
schöpferischer Begabungen, der produktive Kontakt zweier Geister                                          Chance, die große Chance, aus der verhältnismäßigen Anonymität der
oder Seelen?                                                                                              Fachliteratur h e ra u sz u tre te n in d a s w eite Feld d e s se n satio n ellen lite­
                                                                                                          rarischen Tagesgesprächs.
Im J a h re 1911, unter d e n nur von ihm plötzlich e ra h n te n w elthistorischen
Aspekten der M arokkokrise konzipiert ein unbekannter deutscher G ym ­                                    W ie rund zehn Jahre später die glückliche Zeitkonstellation einem a n d e ­
nasiallehrer eine neue große geschichtsphilosophische These von der                                       ren Autor die große Chance gab, dessen Kriegsroman, w äre er auch nur
M o rp h o lo g ie d e r W eltgeschichte. 1917 h a t er in ü b er ta u s e n d Seiten d a s               zwei Jahre früher erschienen, wahrscheinlich die Zahl der Durchschnitts­
Manuskript des ersten Bandes vollendet. Deutschlands Verleger lehnen                                      oder gar Mißerfolge von Kriegsliteratur nur um einen vermehrt hätte.
e s a b . Ein W i e n e r V e r la g , d e r sc h o n e in m a l mit d e m W e r k e i n e s bis          A b e r R em a rq u es „Im W e s te n nichts N e u e s " tra f g e r a d e in d ie sich im
dahin unbekannten Autors namens W eininger ein geistiges W eltecho                                        europäischen Denken mehr und mehr durchsetzende Idee von der
e r r e g te , nimmt es schließlich an. Im S e p te m b e r 1918 ersch e in t jen es G e ­                N o t w e n d i g k e i t d e r V e r s t ä n d i g u n g a u s d e r S c h i c k s a l s g e m e i n s c h a f t . Es
schichtswerk. M ühsam w e rd e n 1500 E x em plare v e rk a u ft — d e m Buch                             ist b e z e ic h n e n d , d a ß b e id e A u to re n in. ihrem s p ä t e r e n S chaffen n iem als
scheint d as Schicksal einer unter tausend Fachpublikationen sicher. Da                                   w ieder jene gew altige Erschütterung des M assenbewußtseins erzielen
bricht M itteleuropa zusam men, ein Kontinent scheint aus der Geschichte                                  konnten: trotz äußerlicher Erfolge fehlte den späteren W erken jene
auszuscheiden. Für Millionen zerbricht eine W elt, sie suchen nach Er­                                    einm alige Chance der zufälligen Konstellation. Zufall? „Sollten zu­
klärun g, Sinn und Zukunft d e r K atastro p h e. Das Buch w ird in M o n a te n                          fällige Ereignisse einen Z usam m enhang h aben? Und das, w as wir Schick­
zum deutschen, zum europäischen Erfolg, es zwingt ob seines Echos die                                     sal n en n en , sollt’ es b lo ß Zufall s e in ? " G o e th e s F ra g e ist A n tw o rt zu-
Historiker und Philosophen auf die Tribünen der Öffentlichkeit. Laien                                     aleich. Und für A n a to le F ra n ce ist d e r Zufall schließlich . . . G o tt.
und G elehrte lobpreisen oder verdam m en den Autor und seine These
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