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WIE STEHEN SIE ZU IHRER

                                                                                                   FAMILIE UND

                                                                                             Sicher ist jedem von uns diese Trage schon einm al g e stellt morden, oder i
                                                                                             D ie A n tw o rte n sdhwänken im allgem einen zw ischen ,,p o s itiv " u n d „(Je

                                                                                             Es g ib t M ensdhen, die en tw eder von v o rn h e re in oder ab er a u f Q n in cl ih n                   hen E rfah run gen jegliche  tehw

                                                                                             zu ihren V erw an dten als ule  zeit ablehnen und a lle in a u f die W a h lve rw a n d tsch a ft sdjw ören. U n d

                                                                                             andere, die die Blutsbande als unbedin gt innere V e rb unde nhe it ansehen. A ußerdt                      ib t es  ichcn lese

                                                                                             extrem en IM ögliChkeiten un zählige w eitere V a ria n te n , w ie sie bei allen menschliche]             dehur    zu fin a e n sin,

                                                                                             Eins steh t jedoch fe s t: -aus jedem echten Q e fü h l der Z u s a m m e n g e h ö rig k e it — n ic h t  verwechseln m it dem dt
                                                                                                                                                                                                        . Es w äre z w e ife llo s das i
                                                                                             hängigkc  erwächst menschliche Sicherht                      dien

Jeder V a te r wünscht sich Söhne und ist dann offensichtlich                                    ch stehe mich ausgezeichnet m it meinen V e r­           W asser abgraben. Die N a tu r tu t’s ja selber. W ürde
                                      sehr stolz a u f sie . . ,                                   w andten. D abei w äre ich m it den meisten von        sie sonst die Kinder den Eltern entfrem den?
                                                                                                   ihnen w ahrscbem lidi nicht einmal befreundet,
R e p ro d u k tio n e n eines a lte n h o llä n d is c h e n M e iste rs v o n T o e lle                                                                 V ie lle ich t üb e rtre ib ich ein bißchen. A b e r das
                                                                                             JIL wenn w ir n id jt z u fä llig verw an dt wären. M a n ­  ä n d e rt nichts daran, daß z. B. unter den N azis so­
                                                                                                                                                          genannte „F am ilien tre ffe n" (den obligatorisch bis
                                                                                                   chen m einer Freunde fühle ich mich bedeutend          mindestens auf Karl den Kahlen zurückgehenden
                                                                                             verw andter als meinen Verwandten. Die w enig­               Stammbaum immer m it einbegriffen) regelrecht zu
                                                                                             sten von ihnen haben dieselben Interessen, dieselbe          „V olksthings" beunruhigendsten Ausmaßes an-
                                                                                             A rt und Lebensauffassung w ie ich. A ber w ir haben         schwollen, und — w ie hieß das doch so unver­
                                                                                             dieselbe G roßm utter, und das macht etwas aus.              gleichlich? — : „d ie Keimzelle des Staates" bildeten.
                                                                                             Es bedeutet, daß w ir dieselben Erinnerungen haben,          Apropos Familie, apropos Verwandtschaft.

                                                                                             etwa an einen bestimmten Apfelbaum oder an                   M an w o lle sich in diesem Zusammenhang doch
                                                                                             eine blaue Milchtasse, aus der w ir alle getrunken           gütigst der kleinen Mühe unterziehen, schärfstens
                                                                                             haben. Es bedeutet noch viel mehr. Jeder von                 zu trennen zwischen:
                                                                                             uns w eiß, w o er in der N o t H i'fe , Liebe und            römisch eins: U n u m g ä n g l i c h e n N u t z ­
                                                                                             W ä rm e finden kann. Das ist überaus selbst­                n i e ß e r n des eigenen Blutes (als da sind Frau,
                                                                                             verständlich.                                                Eltern, G roßeltern, Kinder, Geschwister) und
                                                                                                                                                          römisch zw o : W ild e n S c h m a r o t z e r n am
D i e K u s in e ist e ig e n tlic h g a r k e in e . S ie ist ein                           W a ru m eigentlich? Machen es d ie Bande des                eigenen Blute (z. B , um nur die hartnäckigsten
M äd ch en , das von ein em G ym nasiasten nach                                              Blutes? G ewiß. A be r da habe ich eine a lte an­            Spezies zu nennen: O n ke l, Tanten, V ettern, Basen,
d e r K 'a v ie rs tu n d e ab g eh o lt, b e g leitet, v ere h rt,                          geheiratete Tante, um die i'h sehr trauern werde,            Schwägerinnen).
g elieb t und geküß t w ird . Irg en d ein m a l begegnet                                    w enn sie einm al stirbt W ir haben keinen Tropfen           Zu römisch eins ist ( h i e r jedenfalls) nichts w e ite r
den b eid en d e r L a te in le h re r, d e r d an n in d e r                                gemeinsam en Blutes. Es muß a !co mehr sein, V ä te r­       zu sagen.
nächsten S tun de den Jü n g lin g a u fru ft un d ih m                                      erbe verm utlich, dieses Bewußtsein der Fam ilien­           Zu römisch zwo w äre lediglich erw eiternd hinzu­
nachw dist, es w ä re gescheiter, W ö r te r zu le rn e n ,                                                                                               zufügen, daß hierunter alles fä llt, was sich, etw a
als m it M ä d c h e n h e ru m z u z ie h e n . W o ra u f d e r                            zusammengehörigkeit, diese tief empfundene Ver­              im Falle unseres vo rze itig e n Verbleichens, im V o r­
Jü n g lin g e rw id e rt: „E ntschuldig en H e rr P ro ­                                    pflichtung, innerhalb der Familie füreinander em-            zimmer des Testamentsvollstreckers treffen würde.
fessor, das w a r m ein e K u s in e .“                                                      zustehen. Anders als heute lebte in arauer V orze d          N ein. Verzeihen Sie b itte : Ich m öchte w irk lic h
                                                                                             d e r einzelne in seiner Sippe und fü r sie D afür           nicht gerne „v e rw a n d t" sein.
                    . E r n s t H e im e r an                                                ge w ä hrte sie ihm allen Schutz, den er brauchte            Stamme von der Cousine meiner G roßtante ab,
                                                                                                                                                          w er immer, in dre i Teufels N am en, es w o lle . I c h
I n d em K re is e in e r F a m ilie ist d e r M ensch v o r                                 Seltsam. Die Ehen haben heute w enig Bestand                 bin nicht schuldig an seiner Schattenexistenz. Ic h
d e m Ä rg s te n b e w a h rt, in ih r e n tw ic k e ln sich                                mehr. Eltern und Kinder, Geschwister unteremander            w erde keinen Anspruch auf sein N ußbaum vertiko
leicht d ie A rb e its a m k e it, die O p fe rw iliig k e it,                               haben böse K on flikte Es g ib t kaum eine Häuslich­         erheben.
das S elbstvertrauen un d d ie Z u frie d e n h e it.                                        keit, in der alles „in O rd n u n g " w ä re A ber d a s     Ich kenne auch Tante M e'usine nicht. Und O nkel
                                                                                             ist gebüeben: du langst an e :nem frem den O rt an           Konrad aus dem Seitenzweig derer von Schnurrzen-
                                                                        Peter Rossegger      und hast kein Unterkommen Da fä llt dir ein, daß             stein schon gar nicht.
                                                                                             eben hier ein entfernter Vetter wohnt, den du ni-ht          S:hlicht form u lie rt: Bleibt mir vom Hals, w erte
                                                                                             einm al kennst A uf einm al ist alles so einfach.            Dam en; verschont mich, ihr Herren.
                                                                                             Du kannst hingehen und sagen: „I h b :n der Enkel            Ich w ill mir nämlich meine Leute a l l e i n aus­
                                                                                             von Tante S op hie!", und schon bist du w ie zu Hause.       suchen. Ich kann nichts da fü r, ich U n ho ld; ab er ich
                                                                                             Vielleicht w ürde dein eigener Bruder nicht so für            trau' euren „B lu tsb an de n" nicht. Ich hab zu o ft
                                                                                             dich sorgen wie dieser Vetter.                               schon erfahren, daß es nur Konventionsbänder
                                                                                                                                                           sind, geknüpft an die wurm stichigen Heüsarmee-
                                                                                             Man soll die tragische Entwicklung, die so!'he                klam pfen fadenscheinigster Tradition.
                                                                                                                                                           Ach, und grad diese Fam ilienchoräle mag ich so
                                                                                             Freude nehmen kann, nicht totschw eigen In diesen             gar nicht, diese dröhnenden Bekenntnisse zur d im i­
                                                                                                                                                           nutiven Vermassung.
                                                                                             Jahren der O b d a ch lo sig ke it hat sich tau~endfach       Bitte: W orein mündet der Verwandtschaftskult denn
                                                                                                                                                           zuletzt, wenn nicht ins Prinzip blutsm äß iger K o lle k­
                                                                                             gezeigt, daß verw andtschaftliche N eigu ng nur so            tivierung? Christus hat nicht umsonst V ater und
                                                                                                                                                           Mutter verleugnet...
D i e G rie c h e n , d ie so g u t w u ß te n , w as e in F re u n d                        lange ko n fliktlo s ist, w ie d 'e rechte M dte zwischen     D aher: W e r sich zum Individualism us bekennt, der
ist, h a b e n d ie V e rw a n d te n m it e in e m A u s d ru c k                                                                                         muß onkellos und tantenfrei leben.
bezeichnet, w elch er d e r S u p e rla tiv des W o rte s                                    Nähe und Ferne -gewahrt bleiben kann. W ird der               Schließlhh: Die Herde (verzeiht, liebe Tanten) hat
„ F re u n d “ ist. D ies b le ib t m ir u n e rk lä rlic h .                                                                                              schon seit je die Fähigkeiten des einzelnen
                                                                                             Vetter zum Bruder, O nkel und Tante zu Vater und
                                                             Friedrich Nietzsche                                                                           nivelliert.
                                                                                             M utter, w eitere Familie also zur enqen Gem ein­             N ein, ich w ill nicht „v e rw a n d t" sein.
                                                                                                                                                           Au ;h nicht m it d ir, schm alhüftiges Bäschen Ludw iga.
                                                                                             schaft, so entsteht Reibung. W e r irgend in der              M it d i r am allerwenigsten.

                                                                                             Lage dazu ist, soll se'ne V erw andten innerlich                                                                   Wolfdie trich Schnurre

                                                                                             suchen und äußerli-h fliehen G erade w eil w ir

                                                                                             uns auf sie so felsenfest verlassen kennen, sollten

                                                                                             w ir niemals auf die Verw andtschaft pochen Jede

                                                                                             Sentim entalität ist ein Übel, Fam iPen'-entim entalitnt

N a n n te n die alte n G riech en ih re V e rw a n d te n                                   ist ein G ift Es g ib t sogar V erw andte, von denen

die „ A lle rlie b s te n “ ? D ie ganze ju nge W e lt von                                   man sich lossagen sollte, obgleich sie V erw andte

h eu te n e n n t sie an d ers. U n d le id e t u n te r d e r                               sind. Ich habe das selber in zwei Fällen getan.

F a m ilie . U n d g rü n d e t sp äter selbst ein e F a m ilie                              Die übrigen sind m ir lieb, w e il sie mir gleich er­

un d w ird d an n g e rad e so.                                                              weise nah sind und fernstehön. G o tt verhüte, daß

                                 Kurt Tucholski                                              w ir uns jemals untreu werden, w e il w ir uns zu treu

                                                                                             W aren!   HerthavonGebhordt

D i e erste alte T a n te sprach: W ir müssen nun                                            Freunde: ja. Bekannte: ja. Feinde: ja.                       In einem Buch, das ich dieser Tage las (Hilde
auch d a ran d enken , was w ir zu ih re m N am ens­                                         Aber — Verwandte?                                            Thurnw ald: „G e g e n w a rtsp ro b le m e B erliner Fa­
tag d em g u ten S ophiechen schenken. D ra u f                                              Nein.                                                        m ilien". W eidmannsche Verlagsbuchhandlung), den
sprach d ie z w e ite T a n te k ü h n : Ich schlage v o r,                                  W o z u hat man denn z. B. einen O n ke l? Daß man           S:hicksalsberichten von Berliner Familien der G egen­
w ir entscheiden uns fü r ein K le id in E rbsengrün,                                        zum Konfirm ationstag eine Taschenuhr krie g t; gut.         w a rt, stieß ich auf die ungeschminkte D arstellung
das m ag S ophiechen nicht le id en .                                                        A b e r erstens hat er sie auch nur aus einem Ramsch­        von Angst, Entbehrung, ständiger Sorge, viel Krank­
D e r d ritte n T a n te w a r das re c h t: Ja, sprach sie,                                 la de n; und dann lä u ft sie sowieso nie länger als         heit und Unsicherheit a lle r A rt. Es w a r in diesen
m it g e lb e n R a n k e n ! Ich w e iß , sie ä rg e rt sich                                bis zur Tanzstunde.                                          Seiten w eit mehr von den negativen als von den
n ich t schlecht u n d m u ß sich auch noch b e d a n k e n .                                Ferner haben O nkel (Tanten übrigens auch! die               positiven Seiten des fam iliäre n Zusammenlebens
                                                                                             Eigenschaft, sich perm anent „b e fre m d e t" zu fühlen     die Rede — und doch ergab das Resümee die un­
                                                                          W i lh e lm Busch  Und zw ar a) w e il man dauernd ihren G eburtstag            zw eifelhafte Feststellung, daß keiner der d o rt
                                                                                             verg iß t, b) w e il man sie schlicht und abkürzend          geschilderten Personen o h n e den Rückhalt der
                                                                                             „E m il", und nicht „ O n k e l Em il" nennt, und c) über­   Fam ilie besser durch die schweren N achkriegsjahre
                                                                                                                                                          gekom m en w äre als m it ihm. Lege ich meine
                                                                                             haupt ...                                                    eigerien Erfahrungen und Beobachtungen m it in
                                                                                             ü b e rh a u p t bin ich der M einung, man so'lte dem
                                                                                             Verwandtenrum m el (mit Verlaub) ein wenig das
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