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VERWANDTSCHAFT?
jörigkeft zuc i erhalb der eigenen Ja m ilie ( w o r u n t e r Eltern u n d ‘K in d e r bzw. QesCbwister
?n und zu fin nd danach bei der näheren und weiteren Sippe, denn sdbliefMcb ist jeder
Qememsdhai prossen-und selbst bemüht, eine solche zu bilden. Es wäre . . . wie gesagt
’arum
i sidb vielleicht nie die M ü h e nahm, darüber nachzudenken, oder ein V o ru rte il
u n il gewissermaßen eigenen) Schwächen und Eigenarten toleranter zu betrachten.
?i namhaften Leuten ganz sdhüdbtern darauf hinweisen, daß, wann man es ein-
h und eigentlich Verwandle auch Menschen sind!
die W a a g s c h a le , so scheint es mir d a b e i g a r nicht nugtuung d a fü r verschafft, d a ß ich in W irk lic h Eine stattliche Z ah l stattlicher Töchter ist ab e r auch nicht zu
einm al so wichtig zu sein, ob die persönlichen keit niemals „d er G ro ß e " sein durfte. Soeben ist - verachten
Beziehungen der einzelnen Fam ilienm itglieder mein Bruder nach sieben Jahren aus Rußland heim
untereinander besonders innige sind, oder ob ein g ekeh rt, und sogleich sank ich später V ie rzig e r, Du verwöhnst die Kinder aus deiner Verw and
w eitgehendes Verständnis zwischen ihnen w altet der ich immerhin schon bin, w ie d e r zum „Kiem en"
{so sehr dieses das tägliche Zusammensein z w e i hinab. D a b e i ist mein Bruder nur d rei Jahre ä lte r schaft mit Geschichten, mit Geschenken du er-
fellos harmonischer und anm utiger gestalter kann); und zupft — allerdings mit Geschick — den Leuten
die Beziehung als solche, die ja immer zugleich d ie G e d ä rm e aus dem Leib. Ferner h abe ich mir wartest oder erhoffst G egenliebe, Anhänglichkeit
ein Stück unseres Lebens, einen Erinnerungs in d er „Versöhnung" eine kleine Schwester zu
kom plex, darstellt, der seine ganz eigene Färbung gedichtet, nachdem ich ein solches W esen seit Zärtlichkeit. Geschähe dir einmal, was den Alten
und T onart besitzt, diese Beziehung e rw e st sich, meiner Kindheit vergebens herbeigewünscht hatte.
g an z besonders in außergew öhnlichen Zeiten, als In dem Roman ist dieses Phantasieschwesterchen deiner Um welt jetzt geschieht, die unauslotbare
lebenserhaltendes Elem ent schlechthin! Es ist näm ein ganz sympathisches Persönchen. In meinen
lich durchaus nicht so, d a ß nur positive G efühls Knabenträum en hingegen w a r sie — d e natürlich grausame Verwandlung, die der Tod v
o d e r Schicksalsgemeinschaften uns inneren und mindestens vier Jahre jünger zu sein hatte — ein
äußeren H alt verleihen; auch das Bewußtsein einer schwieriges Balg. M ein Schwesterchen sollte den so w erd en sie dann sein, die dich, d ie 9/
Verpflichtung, ja sogar einer bedrückenden oder g anzen Erziehungseifer meiner Eltern in Anspruch
lästigen, kann unter bestimmten Umständen Schwie nehmen und dadurch mein eigenes Los erleichtern; lieben, w ie du die Altgewordene vordem hebtest,
rigkeiten überwinden helfen und zum Antrieb für g a lt ich doch als das schw arze Schaf in der ge-
Leistungen w erden, die der einzel e, handelte er heim rätlichen Fam ilie, ü b e rd ie s a ber w ar ich ent als sie muntere Tante w a r ohne G ebrechen Launen,
nur für sich a lle in , wahrscheinlich niemals v o llb rin schlossen, mich auch selbst um mein Phantasie
gen würde. Die eigentümliche Verflochtenheit schwesterchen zu beküm m ern. Ich w ollte recht g eb e fre u d ig , ihres Gedächtnisses mac ig
innerhalb einer Fam ilie, d ie gem ütsm äßigen Bin ritterlich zu ihr sein und gern die Rolle des g e
dungen, die o ft dem einzelnen g ar ni _ht bew ußt heimen Vertrauten übernehmen (neugierig wie W e n n du zu einem Kind sPHchs\ d e in e n ^ " c , ^
sind, w eil sie aus untergründ gen, bis in früheste ich von N a tu r her bin). Sicherlich hätte ein solcher eine schmale Schulter legst, einer Jungen Ratschlage
Kindheitsjahre zurückreichende Eindrücke her Um gang mit der kleinen Schwester veredelnd und erteilst, bist du manchmal erschuttert uber das
rühren: sie w erd en durch Schicksalsschläge, durch b esänftigend aut mich zurückgew irkt. M ein e Frau,
N o t und Sorge keinesfalls geschwächt oder au f von der ich hier nichts w e ite r sagen w ill, w eil sie plötzlich G leiche - sie ist da unverkenn^ ' nt
g ehoben. Im G e g e n te il! In allen Lebensberichten gleichfalls einen Roman wert w äre — aber einen dir, ihre H andbew egung äbst du aus, es
der letzten Jahre klingt irgendwo die N o te an: d icken! — , meine Frau also muß nun Zusehen, w ie
Diese oder jene Situation hätte ich nicht mehr b e sie mit einem M an n e auskomm t, der niemals „d er ihr Lachen aus deinem M und, du brauchst Redens
w ä ltig t, w ären da nicht d ie G eschwister, d ie M u tte r, G ro ß e" w ar und kein Schwesterchen hatte. Aber
die Kinder gew esen, für d ie ich es schaffen, für sie ist „r e n e r g i s c h", w ie mein jüngster N e ffe arten, die ihre Angewöhnung waren.
d ie ich dasein m u ß t e . „resagt" hat, und verfügt über viel Humor.
V o rlä u fig ist es Hübsches und Angenehmes was
d ieser A n trieb ist durchaus nicht im m er ein fre u G ünther Bit.kenteld du da ererbt zu haben scheinst,
dig oder d an k b a r b eg rü ß te r; g e ra d e in den le tz
ten schweren Jahren hat wohl jeder irgendwann Hast du dir je klargemacht, daß du an die Ver Jahr merklich sich häuft — d ^u 1,
einm al den A ugenblick erleb t, in dem d ie a ll w andtschaft unlöslich gebunden bist, und zw ar auf
gem eine Erschöpfung und Hoffnungslos g keit ihn d oppelte W eise, wunderlich und gegensätzlich? etwas wehmütig ob der und
zu ü b e rw ä ltig e n drohte, in dem er b ereit w a r, sich Denn die weiche, sehr ferne Schl nge aus lieblich
fallen zu lassen, sich aufzu geben . Und dann g e Erinnerungsvollem ist nicht ze rre iß b ar, w ie und kehr und gelegentlich erschrickst du, w ®nn d,e
rad e w ar es oftm als eine solche fast mit stiller w ann du auch immer bemüht bist, d ie Kette
Erbitterung, mit einer A rt verbissener W u t g etra lästigen Zusammenhangs, d ie dich ins Fleisch A lterskette sich lastend bem erkbar machtp . ' hr ^
gene Verantw ortung, die über jene letzte schwerste schneidet, zu zerbrechen.
Krise h in w egh alf, der d er A lleinstehende — S ta verblich - das deine auch sie b ef
tistiken können es beweisen — nur zu leicht e rlag . Hier einzugehen auf die Ausnahm efälle, da bereits und komisches Färben, du laßt es lieber das V o r
Es ist über an d ere, beglückendere und positive Kindesinstinkl sich von einer Person im v e rw a n d t bild b ew ah rt dich. W e i ß t d u noch w ie sie ube
Seiten des Fam ilienlebens schon viel und Treffen schaftlichen Umkreis voll W id erw illen w andte
des gesagt worden, ebenso w ie über die unver (Basen- und Vetternhaus schlägt zu w ei'en schon ihren ersten Stiftzahn unglücklich wa; r^ nd
m eidbaren, oft quälenden Reibungsmögl chkeiten, W u rz e ln in benachbarten W ie g e n ), führt zu w eit.
die g era d e im Zusam m enleben g rö ß e re r Fam ilien Es kommt uns auf d ie W a n d lu n g an, d ie unsere nisvoil dam it tat, w ie du d ie .Nase„ ^ P ^ rftia ®
für den einzelnen so hem mend w .rken können, Bindung an nahe V erw andte durchmacht, aus der ihre ü bertrieb enh eiten, w ie Sl®.. ^ m( d ^ n
miese Seite ab er — die unbedingte ethische For liebenden Kindheit und Jugend bis ins nervöse w urde von Jahr zu Jahr, am Rucken fro r, an den
derung, d ie von d er Fam ilie ausgeht und der sich A lter, wenn w ir nur noch die H ärte der Kette Schultern, und zu anderen d a r u b e r k l a g e u n d du
kaum jem and entziehen kann, w eil sie nicht an spüren. dam als nur A bw ehr und Ungeduld SPU tesh Sie
aen Verstand, sondern an den Instinkt appelliert — ,
sis scheint mir g e ra d e heute von besonderer Be- Z ug eg eben , d a ß deine b eta g te Tante nicht mehr stellte sich an den O fen , d u f a " d ® l f Hu lea est
aeutung zu sein. Letzten Endes ist e ber jede Form erträglich ist als Hausgenossin, schaffe sie also in A b er hättest du nur einen Kachelofen, du legtest
ein Heim , schaffe dir Ruhe! Löse mit G eld esw ert den schauernden Rücken an seine W a rm e , soundso
Zusamm enlebens — g an z besonders in den deine Gewissensnörgelei ab, denke nicht mehr an
Qagebenen G re n ze n einer Fam ilie — so etwas d ie Belästigung, zu der ihre Rückbildung für dich, oft am Tag. .
^ ' e e 'fl ko m p lizie rte r Kontrapunkt, eine höhere für die ungeduldige, unliebende Umwelt wurde.
/ . M a l i s c h e A u fg a b e , d ie uns a u fg e tra g e n w urde Dieses Schwätzen und ständige W ederholen, die W ie sie vergeßlich w urde, d ie ersten Anzeichen,
im en Lösung sich nur d er entziehen w ird, d er fürchterliche V ie lfrä ß ig k e it, d ie sich an anderleuis
Rationen v erg reift, w eil sie nicht mehr b e g r e i f t , w eißt du es noch? W ird man dich auch einm al
menschlichen Sinne ein schlechter M usikant ist! w as d ie Zeit uns für Beherrschung a bverlan gt, d ie
Unreinlichkeit und Liederlichkeit, d ab ei w ar sie abschieben in ein Heim , wenn du lästig 9 ® ^ o rd ®n
Karla Höcker früher d ie Akkuratesse in Person, ein V o rbild den
Nichten, hielt dich, das Kind, zur peinlichsten bist, schwer erträglich, alt, alt, furchtbar alt '
* K ö rp erpflege an. Du bist vergeßlich, du siehst nur
die heutige unleidliche Altersgestalt, und du liebtest du erschrickst vor deinem eigenen Gesicht, d a du
sie, d ie Frühere, als sie hübsch, jung, lustig und
so scharmant w a r, d a ß a lle dir anwünschten, nur neuerdings den Mund zusammenpreßt w ie sie, was
ja einm al so zu w erden w ie sie.
du immer hexenhaft fandest.
Jetzt steht das „so zu w erden wie sie" als G rauen
vor dir, denke nicht d aran, sie ist weit fort, gut Du kommst nicht los von dem Erbtümlichen, überall
aufgehoben, des Bandes und der Kette hast du führt die Spur, führen Bänder hm, auch die Ketten,
dich entledig t, redest du d ir ein.
d ie an dir zerren. A ber g lau be mir, sie S'"d d.as
G erin ge. M ächtiger ist die G em einsam keit .m
Kindheitserlebnis, das dich mit dem o d ^ l®"®^
verbindet, die Zeichen von Ahnhchke.t die du ent
deckst, deine G roßm utter, d?.ne M u tte r, dich
selbst in Zügen von Nachkom m en. A lle Eigenschaf
ten der Base, des Vetters, des Ohm es - auch m
dir, die guten und angenehmen w ie die wunder
a'ei'cr n° c^s^en hätte es m ir g eleg en, von m einer lichen, ja widerlichen!
w ill ^ e rw andtschaft zu berichten. A b er ich G eh e behutsam um mit d ein er Verw andtschaft und
übe Nachsicht, wenn sie a lt oder töricht oder
ie ib li^ \ Qn c*en ^ 'nn ä e r U m fra g e halten. Die flüchtlingsgierig, nörgelig, neidisch ist. W ä rs t du
sPärli"che e rw a n dtschaft, d ie Zeit meines Lebens
nicht ähnlich in gleicher Lage?
N effen Wj r' se'* m ehreren Jahren durch drei Erschütterung des Ähnlichen, du kannst sie in
fangen vier Nichten frische Verstärkung emp- jedem Verw andtschaftsfall, wenn du es so nennen
willst, w iedererleben , im glücklichen und im teuf
doch würd ° n 'hnen w äre manches zu erzählen, lischen Sinn. Zw eierlei Band, unlösbar, vergiß es
nicht. Das W eh m ü tig san fte a b e r heißt „die bessere
älteren GeS C,as- em en kleinen Roman füllen. Die Erinnerung". Lehre sie dich d ie notw endige Einsicht.
Erinnerung n erat'0 n en h abe ich aus verk lä re n d e r
Ruth H o f f m a n n
geschildert ' h m e'nem Roman „D ie Versöhnung"
ren Bruder r* h abe ich mich selbst zum ä lte -
rnannt und mir auf diese W eise G e