Page 9 - mosaik03_49
P. 9

VERWANDTSCHAFT?

               jörigkeft zuc  i erhalb der eigenen Ja m ilie ( w o r u n t e r Eltern u n d ‘K in d e r bzw. QesCbwister
               ?n und zu fin  nd danach bei der näheren und weiteren Sippe, denn sdbliefMcb ist jeder
                Qememsdhai    prossen-und selbst bemüht, eine solche zu bilden. Es wäre . . . wie gesagt
               ’arum

                              i sidb vielleicht nie die M ü h e nahm, darüber nachzudenken, oder ein V o ru rte il
                              u n il gewissermaßen eigenen) Schwächen und Eigenarten toleranter zu betrachten.
                              ?i namhaften Leuten ganz sdhüdbtern darauf hinweisen, daß, wann man es ein-
                              h und eigentlich Verwandle auch Menschen sind!

die W a a g s c h a le , so scheint es mir d a b e i g a r nicht                              nugtuung d a fü r verschafft, d a ß ich in W irk lic h ­                           Eine stattliche Z ah l stattlicher Töchter ist ab e r auch nicht zu
einm al so wichtig zu sein, ob die persönlichen                                               keit niemals „d er G ro ß e " sein durfte. Soeben ist                                                                           - verachten
Beziehungen der einzelnen Fam ilienm itglieder                                                mein Bruder nach sieben Jahren aus Rußland heim­
untereinander besonders innige sind, oder ob ein                                              g ekeh rt, und sogleich sank ich später V ie rzig e r,                             Du verwöhnst die Kinder aus deiner Verw and ­
w eitgehendes Verständnis zwischen ihnen w altet                                              der ich immerhin schon bin, w ie d e r zum „Kiem en"
{so sehr dieses das tägliche Zusammensein z w e i­                                            hinab. D a b e i ist mein Bruder nur d rei Jahre ä lte r                           schaft mit Geschichten, mit Geschenken du er-
fellos harmonischer und anm utiger gestalter kann);                                           und zupft — allerdings mit Geschick — den Leuten
die Beziehung als solche, die ja immer zugleich                                               d ie G e d ä rm e aus dem Leib. Ferner h abe ich mir                               wartest oder erhoffst G egenliebe, Anhänglichkeit
ein Stück unseres Lebens, einen Erinnerungs­                                                  in d er „Versöhnung" eine kleine Schwester zu­
kom plex, darstellt, der seine ganz eigene Färbung                                            gedichtet, nachdem ich ein solches W esen seit                                     Zärtlichkeit. Geschähe dir einmal, was den Alten
und T onart besitzt, diese Beziehung e rw e st sich,                                          meiner Kindheit vergebens herbeigewünscht hatte.
g an z besonders in außergew öhnlichen Zeiten, als                                            In dem Roman ist dieses Phantasieschwesterchen                                     deiner Um welt jetzt geschieht, die unauslotbare
lebenserhaltendes Elem ent schlechthin! Es ist näm ­                                          ein ganz sympathisches Persönchen. In meinen
lich durchaus nicht so, d a ß nur positive G efühls­                                          Knabenträum en hingegen w a r sie — d e natürlich                                  grausame Verwandlung, die der Tod v
o d e r Schicksalsgemeinschaften uns inneren und                                              mindestens vier Jahre jünger zu sein hatte — ein
äußeren H alt verleihen; auch das Bewußtsein einer                                            schwieriges Balg. M ein Schwesterchen sollte den                                   so w erd en sie dann sein, die dich, d ie            9/
Verpflichtung, ja sogar einer bedrückenden oder                                               g anzen Erziehungseifer meiner Eltern in Anspruch
lästigen, kann unter bestimmten Umständen Schwie­                                             nehmen und dadurch mein eigenes Los erleichtern;                                   lieben, w ie du die Altgewordene vordem hebtest,
rigkeiten überwinden helfen und zum Antrieb für                                               g a lt ich doch als das schw arze Schaf in der ge-
Leistungen w erden, die der einzel e, handelte er                                             heim rätlichen Fam ilie, ü b e rd ie s a ber w ar ich ent­                         als sie muntere Tante w a r ohne G ebrechen Launen,
nur für sich a lle in , wahrscheinlich niemals v o llb rin ­                                  schlossen, mich auch selbst um mein Phantasie­
gen würde. Die eigentümliche Verflochtenheit                                                  schwesterchen zu beküm m ern. Ich w ollte recht                                    g eb e fre u d ig , ihres Gedächtnisses mac ig
innerhalb einer Fam ilie, d ie gem ütsm äßigen Bin­                                           ritterlich zu ihr sein und gern die Rolle des g e­
dungen, die o ft dem einzelnen g ar ni _ht bew ußt                                            heimen Vertrauten übernehmen (neugierig wie                                        W e n n du zu einem Kind sPHchs\ d e in e n ^ " c , ^
sind, w eil sie aus untergründ gen, bis in früheste                                           ich von N a tu r her bin). Sicherlich hätte ein solcher                            eine schmale Schulter legst, einer Jungen Ratschlage
Kindheitsjahre zurückreichende Eindrücke her­                                                 Um gang mit der kleinen Schwester veredelnd und                                    erteilst, bist du manchmal erschuttert uber das
rühren: sie w erd en durch Schicksalsschläge, durch                                           b esänftigend aut mich zurückgew irkt. M ein e Frau,
N o t und Sorge keinesfalls geschwächt oder au f­                                             von der ich hier nichts w e ite r sagen w ill, w eil sie                           plötzlich G leiche - sie ist da unverkenn^ ' nt
g ehoben. Im G e g e n te il! In allen Lebensberichten                                        gleichfalls einen Roman wert w äre — aber einen                                    dir, ihre H andbew egung äbst du aus, es
der letzten Jahre klingt irgendwo die N o te an:                                              d icken! — , meine Frau also muß nun Zusehen, w ie
Diese oder jene Situation hätte ich nicht mehr b e­                                           sie mit einem M an n e auskomm t, der niemals „d er                                ihr Lachen aus deinem M und, du brauchst Redens­
w ä ltig t, w ären da nicht d ie G eschwister, d ie M u tte r,                                G ro ß e" w ar und kein Schwesterchen hatte. Aber
die Kinder gew esen, für d ie ich es schaffen, für                                            sie ist „r e n e r g i s c h", w ie mein jüngster N e ffe                          arten, die ihre Angewöhnung waren.
d ie ich dasein m u ß t e .                                                                   „resagt" hat, und verfügt über viel Humor.
                                                                                                                                                                                 V o rlä u fig ist es Hübsches und Angenehmes was
 d ieser A n trieb ist durchaus nicht im m er ein fre u ­                                                                                                  G ünther Bit.kenteld  du da ererbt zu haben scheinst,
dig oder d an k b a r b eg rü ß te r; g e ra d e in den le tz­
ten schweren Jahren hat wohl jeder irgendwann                                                 Hast du dir je klargemacht, daß du an die Ver­                                     Jahr merklich sich häuft — d ^u      1,
 einm al den A ugenblick erleb t, in dem d ie a ll­                                           w andtschaft unlöslich gebunden bist, und zw ar auf
 gem eine Erschöpfung und Hoffnungslos g keit ihn                                             d oppelte W eise, wunderlich und gegensätzlich?                                    etwas wehmütig ob der               und
 zu ü b e rw ä ltig e n drohte, in dem er b ereit w a r, sich                                 Denn die weiche, sehr ferne Schl nge aus lieblich
 fallen zu lassen, sich aufzu geben . Und dann g e ­                                          Erinnerungsvollem ist nicht ze rre iß b ar, w ie und                               kehr und gelegentlich erschrickst du, w ®nn d,e
 rad e w ar es oftm als eine solche fast mit stiller                                          w ann du auch immer bemüht bist, d ie Kette
 Erbitterung, mit einer A rt verbissener W u t g etra ­                                        lästigen Zusammenhangs, d ie dich ins Fleisch                                     A lterskette sich lastend bem erkbar machtp . ' hr ^
 gene Verantw ortung, die über jene letzte schwerste                                          schneidet, zu zerbrechen.
 Krise h in w egh alf, der d er A lleinstehende — S ta­                                                                                                                          verblich - das deine auch sie b ef
 tistiken können es beweisen — nur zu leicht e rlag .                                          Hier einzugehen auf die Ausnahm efälle, da bereits                                und komisches Färben, du laßt es lieber das V o r
 Es ist über an d ere, beglückendere und positive                                              Kindesinstinkl sich von einer Person im v e rw a n d t­                           bild b ew ah rt dich. W e i ß t d u noch w ie sie ube
 Seiten des Fam ilienlebens schon viel und Treffen­                                            schaftlichen Umkreis voll W id erw illen w andte
 des gesagt worden, ebenso w ie über die unver­                                                (Basen- und Vetternhaus schlägt zu w ei'en schon                                  ihren ersten Stiftzahn unglücklich wa; r^ nd
 m eidbaren, oft quälenden Reibungsmögl chkeiten,                                              W u rz e ln in benachbarten W ie g e n ), führt zu w eit.
 die g era d e im Zusam m enleben g rö ß e re r Fam ilien                                      Es kommt uns auf d ie W a n d lu n g an, d ie unsere                              nisvoil dam it tat, w ie du d ie .Nase„ ^ P ^ rftia ®
 für den einzelnen so hem mend w .rken können,                                                 Bindung an nahe V erw andte durchmacht, aus der                                   ihre ü bertrieb enh eiten, w ie Sl®.. ^ m( d ^ n
 miese Seite ab er — die unbedingte ethische For­                                              liebenden Kindheit und Jugend bis ins nervöse                                     w urde von Jahr zu Jahr, am Rucken fro r, an den
 derung, d ie von d er Fam ilie ausgeht und der sich                                           A lter, wenn w ir nur noch die H ärte der Kette                                   Schultern, und zu anderen d a r u b e r k l a g e u n d du
 kaum jem and entziehen kann, w eil sie nicht an                                               spüren.                                                                           dam als nur A bw ehr und Ungeduld SPU tesh Sie
 aen Verstand, sondern an den Instinkt appelliert — ,
 sis scheint mir g e ra d e heute von besonderer Be-                                           Z ug eg eben , d a ß deine b eta g te Tante nicht mehr                            stellte sich an den O fen , d u f a " d ® l f Hu lea est
 aeutung zu sein. Letzten Endes ist e ber jede Form                                            erträglich ist als Hausgenossin, schaffe sie also in                              A b er hättest du nur einen Kachelofen, du legtest
                                                                                               ein Heim , schaffe dir Ruhe! Löse mit G eld esw ert                               den schauernden Rücken an seine W a rm e , soundso
          Zusamm enlebens — g an z besonders in den                                            deine Gewissensnörgelei ab, denke nicht mehr an
 Qagebenen G re n ze n einer Fam ilie — so etwas                                               d ie Belästigung, zu der ihre Rückbildung für dich,                               oft am Tag.                                       .
 ^ ' e e 'fl ko m p lizie rte r Kontrapunkt, eine höhere                                       für die ungeduldige, unliebende Umwelt wurde.
 / . M a l i s c h e A u fg a b e , d ie uns a u fg e tra g e n w urde                         Dieses Schwätzen und ständige W ederholen, die                                    W ie sie vergeßlich w urde, d ie ersten Anzeichen,
 im en Lösung sich nur d er entziehen w ird, d er                                              fürchterliche V ie lfrä ß ig k e it, d ie sich an anderleuis
                                                                                               Rationen v erg reift, w eil sie nicht mehr b e g r e i f t ,                      w eißt du es noch? W ird man dich auch einm al
       menschlichen Sinne ein schlechter M usikant ist!                                        w as d ie Zeit uns für Beherrschung a bverlan gt, d ie
                                                                                               Unreinlichkeit und Liederlichkeit, d ab ei w ar sie                               abschieben in ein Heim , wenn du lästig 9 ® ^ o rd ®n
                                                                                Karla Höcker   früher d ie Akkuratesse in Person, ein V o rbild den
                                                                                               Nichten, hielt dich, das Kind, zur peinlichsten                                   bist, schwer erträglich, alt, alt, furchtbar alt                     '
                                                                               *               K ö rp erpflege an. Du bist vergeßlich, du siehst nur
                                                                                               die heutige unleidliche Altersgestalt, und du liebtest                            du erschrickst vor deinem eigenen Gesicht, d a du
                                                                                               sie, d ie Frühere, als sie hübsch, jung, lustig und
                                                                                               so scharmant w a r, d a ß a lle dir anwünschten, nur                              neuerdings den Mund zusammenpreßt w ie sie, was
                                                                                               ja einm al so zu w erden w ie sie.
                                                                                                                                                                                 du immer hexenhaft fandest.
                                                                                               Jetzt steht das „so zu w erden wie sie" als G rauen
                                                                                               vor dir, denke nicht d aran, sie ist weit fort, gut                               Du kommst nicht los von dem Erbtümlichen, überall
                                                                                               aufgehoben, des Bandes und der Kette hast du                                      führt die Spur, führen Bänder hm, auch die Ketten,
                                                                                               dich entledig t, redest du d ir ein.
                                                                                                                                                                                 d ie an dir zerren. A ber g lau be mir, sie S'"d d.as
                                                                                                                                                                                 G erin ge. M ächtiger ist die G em einsam keit .m

                                                                                                                                                                                 Kindheitserlebnis, das dich mit dem o d ^ l®"®^
                                                                                                                                                                                 verbindet, die Zeichen von Ahnhchke.t die du ent­
                                                                                                                                                                                 deckst, deine G roßm utter, d?.ne M u tte r, dich
                                                                                                                                                                                 selbst in Zügen von Nachkom m en. A lle Eigenschaf­

                                                                                                                                                                                 ten der Base, des Vetters, des Ohm es - auch m
                                                                                                                                                                                 dir, die guten und angenehmen w ie die wunder­

a'ei'cr n° c^s^en hätte es m ir g eleg en, von m einer                                                                                                                           lichen, ja widerlichen!
w ill ^ e rw andtschaft zu berichten. A b er ich                                                                                                                                 G eh e behutsam um mit d ein er Verw andtschaft und
                                                                                                                                                                                 übe Nachsicht, wenn sie a lt oder töricht oder
ie ib li^ \ Qn c*en ^ 'nn ä e r U m fra g e halten. Die                                                                                                                          flüchtlingsgierig, nörgelig, neidisch ist. W ä rs t du
sPärli"che e rw a n dtschaft, d ie Zeit meines Lebens
                                                                                                                                                                                 nicht ähnlich in gleicher Lage?
N effen Wj r'  se'* m ehreren Jahren durch drei                                                                                                                                     Erschütterung des Ähnlichen, du kannst sie in

fangen      vier Nichten frische Verstärkung emp-                                                                                                                                jedem Verw andtschaftsfall, wenn du es so nennen
                                                                                                                                                                                 willst, w iedererleben , im glücklichen und im teuf­
doch würd ° n 'hnen w äre manches zu erzählen,                                                                                                                                   lischen Sinn. Zw eierlei Band, unlösbar, vergiß es
                                                                                                                                                                                 nicht. Das W eh m ü tig san fte a b e r heißt „die bessere
älteren GeS C,as- em en kleinen Roman füllen. Die                                                                                                                                Erinnerung". Lehre sie dich d ie notw endige Einsicht.
Erinnerung n erat'0 n en h abe ich aus verk lä re n d e r
                                                                                                                                                                                                                                                          Ruth H o f f m a n n
geschildert ' h m e'nem Roman „D ie Versöhnung"

ren Bruder     r* h abe ich mich selbst zum ä lte -

               rnannt und mir auf diese W eise G e ­
   4   5   6   7   8   9   10   11   12   13   14