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Die Turmradier der Literatur
E ine B etrachtung z u drei Büchern der am erikanischen „besPseller“'L is te n
Von A L F R E D B E R N D T
ERtCri MARIA REMARQUE. Mit e.n em k Es m a g sich b ö s e a n h ö r e n , w e n n m an die gierde, aus der primitiven Eitelkeit heraus, das
und dem zweiten Vornamen Paul heißt Autoren der amerikanischen ,,besi-seller"-Listen literarische Rad jenes berühmten Turmradlers
de r O snabrücker wirklich so. G oebbels mit jenen Radartisten vergleicht, die durch die auch zu fahren. A ber sie, denken — hier heiligt
las ihn in dem Spiegel, den Rem arque amerikanischen Landstädte reisen und Rekorde der Zweck also einmal wirklich die Mittel. Und
d e n N a z is v o r g e h a lte n h a 'te . Er nanr.te im Turmfahren aufstellen. Vierundzwanzig Stun wenn man nur einige der Namen jener „best-
ihn Kramer und warf zur Verfifmung von den und länger umradeln sie, von einfalls seller"-Autoren hört — Louis Bromfield, Som er
„Im W esten nichts Neues" Stinkbomben. reichen Fahrradfirmen engagiert, die Plattformen set M a u g h a m , D a p h n e du M aurier, Erich M a ria
So w artete Rem arque nicht unter dem der jeweiligen Türme — originelle Reklamen Remarque, Upton Sinclair, Betty Smith, Kathleen
„Trium phbogen" ab. Aber sein „Rav k" für den Radsport, wenn man sie mit der Vor- W indsor od er Evelyn W augh, w ah los heraus
stimmt trotzdem . Auch wenn d er heute gegriffene Vertreter der verschiedensten The
51jährige laut M arlene Dietrich zu den behaltlosigkeit des Amerikaners betrachtet, für men und Stile —, dann begreift man auch, mit
zehn charmantesten M ännern Amerikas zählt. den „tierischen Ernst" des Europäers jedoch welcher Intensität diese Millionen Leser denken.
Jahrmarktsfiguren, die den wirklichen Sport
BETIY SMITH. Ein J a h r la n g ließ sie sich gedanken zur Farce werden lassen. W as aber Zwei Merkmale charakterisieren also den „best-
ab en d s im Automaten die 'Ihermosfiasche ist ein „best-seller"? Riesige Klubs bestimmen seller" und stempeln ihn, vom Problem der
mit Kaffee füllen — eine kleine D ram a monatlich einen Roman, den sie mit einer Min M a ss e n e r z ie h u n g her g e s e h e n , leid e r zur nui*
turgin mit zwei Töchiern, die ihren amerikanischen Einrichtung, der Europa nach
Roman zwischen 6 und 7 Uhr in der destauflage von 250 000 an gan ze Heere von wie vor einzig den alten Zustand entgegen
Frühe schrieb. Dann wurde sie berühmt, eingetragenen Lesern versenden und dem die zusetzen hat: viele Leser schlechter Unterhal
sie heiratete zum zweitenmal. Nun hätte Händler einen bevorzugten Platz einräumen tungslektüre einerseits und andererseits wenige
sie d ie Flasche a u f g e b e n k ö n n e n . 1904 in müssen, weil das Publikum, das von ihnen selbständig zur Dichtung greifende Intellek
B r o o k l y n g e b o r e n , l i e b t s ie a b e r a l ’es, sprechen hört, sie zu sehen wünscht. So ent tuelle. Der „best-seller" grenzt sich zw an g s
was sie an diese Herkunft erinnert: Volks steht die Jagd nach der höheren Auflageziffer. läufig von der Dichtung ab, indem er den
lieder. Kinder. Hunde, Kaizen, die Bibel Jährlich bis zu zehn Bücher des „book^ of the Massengeschmack berücksichtigt. Von der
und nicht zuletzt — die Thermosflasche. month club“ oder der „litterary guild" errei simplen Groschenlektüre aber unterscheidet er
chen die Millionengrenze — eine nicht weniger sich durch dön Willen, den Leser der breiten
SOMERSET M A U G H A M . 1874 in Paris g e originelle Reklame für die Dichtkunst, wenn Masse innerhalb seiner geistigen Möglichkeiten
bo ren , ist er ein W eltm an n , d er die W elt man auch hier d en A m erikanern glaubt. Für zum Denken anzuregen. Zwischen diesen
verlorengibt. Vielleicht weil er über den Europäer dagegen, der ein Absinken der Polen e r g e b e n sich die vielfältigsten literari
30 Ja h re so a rm w ar, d a ß er lung enk ran k amerikanischen Dichtung auf den Massen schen Variationen. Jeweils m ehr von d e r Rück
w urde? Weil ihn seine W ellreisen ent sichtnahme auf den Massengeschmack oder vom
täuschten? O der weil die Rechte des be geschmack befürchtet, eine Barbarei. Willen der auswählenden Institutionen gelenkt
sessenen Erzählers und d^e Linke des Ko Nun, in Wirklichkeit trifft natürlich keine von — zwei Direktiven, von denen nicht immer zu
mödienfabrikanten dem M augham selber beiden Meinungen zu, weder die über die sa g e n ist, w elche ü b e r w elche bestimmt, und
k e i n e R u h e g ö n n e n ? 21 R o m a n e u n d Turmradler noch jene über die „best-seller"- von denen die zweite selbstverständlich die
24 Stücke h at er verfaßt. U nd er schreibt Romane. In W irklichkeit sc h a d e n und nutzen G efahr einer politisch einseitigen Tendenzie-
weiter, rechts und links. Trotz W eltuntergang. die einen dem Radsport ebensowen g wie die rung enthält —, werden diese oder jene Themen
anderen der Dichtkunst. „W ache seltsam hielt und Stile bevorzugt. Grundrichtungen sind
ich a u f d em Gefild e in er N a ch t" — dieses einerseits eine gewisse pseudohistorische Ro
W ort einsamsten Auftrags, das der Dichter mantik — M argaret Mitchells „Gone with the
Thomas W olfe seinem Band Erzählungen „From wind" („Vom W inde verweht") od e r das neue
death to m orrow" („Vom Tod zum Morgen") Buch d e r Autorin d e s W e l t e r f o l g e s „ R eb e k k a" ,
voranstellt, zieht die Grenze: Niemals wird ein Daphne du Maurier, d as „The Kings G eneral"
Dichter den selbstgegebenen Auftrag dieser heißt, geben hierfür vielleicht die bezeichnend
„Wache" an die Turmradlerliteratur verraten, sten Beispiele — , andererseits und b esonders in
letzter Zeit a b er auch eine sehr blutige und
es sei denn, er ist kein Dichter. Und niemals offenherzige Gegenwartsrealistik. Dieser Re
wird andererseits auch ein Lecer der breiten alistik verdanken die hier angeführten „best-
Masse, von diesen Turmradlerautoren angeregt, seller" Erich M aria Rem arques, Beity Smiths und
für jene „W ache" Verständnis aufbringen, es Somerset Maughams ihren immer noch anhal
sei denn* er ist kein Leser d e r Masse. Den Be tenden Erfolg.
weis hierfür liefern einerseits die Namens
listen der jeweiligen Rekordrad'er, die nur ganz „Der T rium phbogen*4
selten einmal einen Dichterncmen enthalten.
Hemingway, Sinclair Lewis, Steinbeck,. Faulkner Der „Arch of Triumph" („Triumphbogen") Remar
q ues spielt kurz vor Ausbruch d e s Krieges in
oder John Dos Passos haben garantierte Auf den legalen und illegalen Pariser Quartieren
lagen, aber außerhalb der „best-sel!er"-Listen. der „refugies" aus aller Herren Länder. Die
Andererseits wird dem Europäer die Trennung Hauptfigur, ein deutscher Arzt, d e r sich jetzt
zwischen „best-seller" und Dichtung spätestens Ravik nennt, stellte sich nach d e r „Macht
bei der Lektüre einer solchen Spilzenauflage ergreifung" schützend vor seine verfolgten
klar. Er muß en ttäu scht w e r d e n , w e n n er ein e Freunde, m ußte mit ansehen, wie d as M ä d
chen, das er liebte, vor seinen Augen zu Tode
Dichtung erwartete. gemartert wurde, und entkam. Nun lebt er als
W eshalb aber haben die Fahrradfirmen und die schlecht bezahlter illegaler Aush.lfschirurg un
Verleger iiire Turmradler bzw. ihre „best- angemeldet zwischen Taxichauffeuren, Dirnen,
se!ler"-Autoren sich d ann überh au p t einfallen Gestapospitzeln, Ärzten, Hebammen, Kranken
lassen? Die Turmradler erzie'en der Fahrrad und Emigranten — ein wie alle anderen begon
firma eine höhere Verkaufsziffer ihrer Marke, nenes Schicksal, dessen gegenw ärtige Frag
die „best-seller" sichern das enlsprechende würdigkeit zwischen der unbeteiligten Entschlos
Buchgeschäft. Dieser beim flüchtigen Besehen senheit, sich zu rächen und doch niemals rächen
nackt geschäftlich erscheinende An'aß, diese zu können, und der ebenso schon unbeteiligten
nach jener ersten ernüchternden Abgrenzung Selbstverständlichkeit, in eine u n b e 'a n n t e Zu
gegen die Dichtung noch enttäuschendere kunft entfliehen zu müssen und doch niemals
zweite Ernüchterung, sie gerad e kennzeichnen mehr Ruhe zu finden, hin und her schwankt.
jedoch den „best-seller" als eine wirklich ideelle Eine bloße Existenz, die zwischen kalter Ver
Einrichtung. Der „best-seller" erreicht, d a ß mehr zweiflung und krampfhafter Ruhe d e Schlaf
ta b le tte n mit d e m O p e r a tio n s m e s s e r vertauscht
Leute, die sonst zu Fuß gehen würden, rad- und die sich von d er flüchtigen Stunde einer
f a h re n , will s a g e n , d e r „best-seller" holt seine so g e n a n n te n Liebe zurück in den ebenfalls nur
Leser zum g r o ß e n Teil a u s d e m frühere n Ver sc h e in b a ren Traum d e r Sch laftab le tte n rettet. Ein
braucherkreis der simplen Groschenlektüre. Flüchtender, einer zwischen vielen. Denn alle
Denn woher sonst sollen jene Millionen Leser flüchten in diesem Roman, d e r russische Philo
gewonnen werden? Der „best-se'ler"-Leser soph und Türhüter eines. Nachtlokals Boris
wird in e rster Linie von unten g e w o rb e n , d as Morosow, die todkranke Amerikanerin, die selt
aber wieder heißt, daß Millionen Menschen sam wortlos und von Anbeginn her verzichtend
zum Denken über Probleme angeregt werden um Ravik wirbt, die kleine Sängerin Joan, der
— religiöse, politische, wissenschafiliche, wirt
schaftliche, ganz allgemein gesagt also mensch
liche Probleme —, von denen sie ohne den
„best-seller" keine Ahnung hätten. Gewiß tun
sie dies keineswegs aus einem Bedürfnis, zu
denken, sondern wohl überwiegend aus Neu